Leitsatz
Erhöhte Fahrtkosten können bei der Bestimmung des Pfändungsfreibetrages nur insoweit Berücksichtigung finden, wie hierfür keine oder keine ausreichenden Beträge im Pfändungsfreibetrag berücksichtigt wurden.
AG Neuburg a.d. Donau, 9.12.2015 – 1 M 1614/14
1 I. Der Fall
SU will Freibetrag wegen Fahrtkosten erhöhen
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin und hat deren Ansprüche gegen das Kreditinstitut als Drittschuldnerin gepfändet. Die Schuldnerin unterhält ein P-Konto und beantragt, nach § 850f Abs. 1b) i.V.m. § 850 Abs. 4 S. 1 ZPO Fahrtkosten im Umfang von 90 km je einfacher Fahrtstrecke als besondere Bedürfnisse anzuerkennen und den Freibetrag entsprechend zu erhöhen. Die angehörte Gläubigerin hat auf die Möglichkeit der Schuldnerin, die erhöhten Fahrtkosten in der Einkommensteuererklärung geltend zu machen, hingewiesen.
2 II. Die Entscheidung
Hohe Fahrtkosten grundsätzlich besonderes Bedürfnis
Der Antrag ist zulässig. Grundsätzlich kann nach § 850f Abs. 1b) i.V.m. § 850 Abs. 4 S. 1 ZPO eine Berücksichtigung von Fahrtkosten erfolgen, wenn besondere Bedürfnisse bestehen. Als zumutbare einfache Fahrtstrecke zur Arbeit werden in der Regel ca. 40 km angenommen. Diese Kosten sind aus dem Grundfreibetrag zu bestreiten.
Trotzdem muss Abwägung erfolgen
Es ergibt sich somit folgende Berechnung: 50 km (90 km Fahrtstrecke minus die bereits berücksichtigten 40 Kilometer) mal zwei Fahrten pro Tag mal 20 Arbeitstage mal 0,20 EUR ergibt eine Erhöhung um 400 EUR. Jedoch sind auch die Gläubigerinteressen zu berücksichtigen, um überwiegenden Belangen Rechnung zu tragen. Einer Pfändung darf nicht von vornherein jeglicher Erfolg unmöglich gemacht werden, um Gläubigerbelange nicht zu verletzen. In diesem Fall erscheint eine Erhöhung um 150 EUR monatlich gerechtfertigt. Der Arbeitsweg ist überdies mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht billiger zu bestreiten.
Steuererstattung unerheblich
Der Gesetzgeber hat in § 850k ZPO lediglich die Freigabe von Kontoguthaben vorgesehen. Befindet sich auf dem gepfändeten Girokonto kein oder ein geringeres Guthaben, als mit diesem Beschluss freigegeben wurde, kann die Schuldnerin auch nur über diesen Betrag verfügen. Die Einwände der angehörten gegnerischen Partei wurden vollumfänglich berücksichtigt: Der Verweis auf die Möglichkeit der Einkommensteuererklärung greift hier ins Leere. Dies hat keinen tatsächlichen Einfluss auf die pfandfreien Beträge bei Bank und Arbeitgeber.
3 Der Praxistipp
Persönliche und berufliche Bedürfnisse berücksichtigen …
Das Vollstreckungsgericht kann dem Schuldner auf Antrag von dem nach § 850f Abs. 1b) i.V.m. § 850 Abs. 4 S. 1 ZPO pfändbaren Teil seines Kontoguthabens einen weiteren Teil belassen, wenn besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen.
… soweit dies nicht schon geschehen ist!
Das Vollstreckungsgericht hat dabei zutreffend berücksichtigt, dass in dem pfändungsfreien Betrag nach § 850k Abs. 1 i.V.m § 850c Abs. 1 S. 1 ZPO bereits Aufwendungen für die Fahrt zum Arbeitsplatz vorgesehen sind. Nicht immer wird dies in der Praxis so konsequent ohne Hinweis des Gläubigers berücksichtigt. Bedauerlich ist, dass nicht konkret festgestellt wird, welche Aufwendungen erforderlich sind, um den Arbeitsplatz mit dem ÖPNV zu erreichen. Auch bleibt offen, ob es unter dem Gesichtspunkt der Berücksichtigung der überwiegenden Belange des Gläubigers der Schuldnerin nicht zumutbar ist, an ihren neuen Arbeitsort umzuziehen. Der Höhe nach bedarf es grundsätzlich keiner Kilometerpauschale. Ausreichend ist vielmehr die Berücksichtigung der tatsächlichen Mehrkosten, d.h. des Mehraufwandes an Kraftstoff.
Steuererstattungsansprüche pfänden
Der Gläubiger ist mit seinem Einwand nicht durchgedrungen, den Schuldner auf die sich aus der erheblichen Fahrtstrecke ergebenden Werbungskosten und damit Steuererstattungsansprüche schon im Verfahren nach § 850f Abs. 1 ZPO zu verweisen. Da sich der Schuldner auch einen monatlichen Steuerfreibetrag eintragen lassen kann, überzeugt dies nicht. In Höhe der sich daraus ergebenden Steuerersparnis und des Anstiegs des Nettolohns ergibt sich nämlich, dass der Schuldner insoweit nicht bedürftig ist. Ungeachtet dessen muss diese Streitfrage nicht bis zu Ende verfolgt werden. Der Gläubiger steht sich nämlich tatsächlich viel besser, wenn er die Steuererstattungsansprüche nun pfändet. Einen Freibetrag gibt es hier nicht. Auch § 850f Abs. 1 ZPO kommt dann an der Quelle nicht zum Tragen.
FoVo 3/2016, S. 51 - 52