Leitsatz
Der Schuldner hat keinen Anspruch darauf, dass nach § 850k Abs. 4 i.V.m. § 850i ZPO der Pfändungsfreibetrag auf seinem P-Konto erhöht wird, damit er Investitionen in seine Selbstständigkeit tätigen kann.
AG Neustadt am Rübenberge, Beschl. v. 3.1.2017 – 80a M 2006/16
1 I. Der Fall/Die Entscheidung
Schuldner will finanziellen Freiraum für Selbstständigkeit
Der Schuldner hat mit Schreiben vom 25.10.2016 die Freigabe eines abweichenden pfändungsfreien Betrages im Sinne von § 850k Abs. 4 i.V.m. § 850l ZPO beantragt. Er trägt vor, dass er für seine selbstständige Tätigkeit weitere Beträge als den Pfändungsfreibetrag auf dem P-Konto von derzeit 1.478 EUR benötige. Der Schuldner sei selbstständig tätig. Er vermittle Stromanbieter (Tarifberater). Er beziehe derzeit noch Leistungen vom Jobcenter Coburg Land. Im Bescheid des Jobcenters Coburg Land vom 26.9.2016 wird von einem monatlichen Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit in Höhe von 100 EUR ausgegangen. Die dortige Berechnung ist nur eine vorläufige. Der Kläger trägt vor, dass er erst Aufträge annehmen kann, wenn er die Freibeträge habe, da er erst dann Investitionen tätigen könne. Der Schuldner trägt mit Schreiben vom 25.10.2016 erhebliche Erhöhungsbeträge vor. Auf das Schreiben wird vollumfänglich Bezug genommen. Der Antrag ist zulässig.
P-Konto ist gepfändet
Den Nachweis, dass es sich bei dem Konto um ein P-Konto handelt, hat der Schuldner durch die Vorlage der Sondervereinbarung hierüber mit der Drittschuldnerin vom 22.4.2014 erbracht.
Kein Nachweis für Einkünfte aus der Selbstständigkeit
Aus der Mitteilung des Finanzamts Coburg vom 25.11.2016 ergibt sich, dass im Jahr 2015 keine gewerblichen Einkünfte erzielt wurden. Trotz Aufforderung an den Schuldner wurden Nachweise für die derzeitige selbstständige Tätigkeit (z.B. Auftragsbestätigungen etc.) nicht vorgelegt. Die Regelung des § 850i ZPO ist jedoch nicht dazu gedacht, dem selbstständigen Schuldner die Grundlagen seiner Tätigkeit zu erhalten (Beckaposscher Onlinekommentar ZPO, § 850i, 22. Aufl., Rn 20). Daher kann die Regelung des § 850i ZPO auch nicht dazu dienen, eine selbstständige Tätigkeit zu beginnen. Der gestellte Antrag ist unbegründet.
2 Der Praxistipp
Nach § 850k Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht in entsprechender Anwendung der Pfändungsschutzvorschriften für Arbeitseinkommen den Pfändungsfreibetrag nach § 850k Abs. 1–3 ZPO abweichend festsetzen. Dabei wird auch auf § 850i ZPO verwiesen.
Einkünfte, nicht Hoffnungen werden geschützt
Werden nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, gepfändet, so hat das Gericht nach § 850i ZPO dem Schuldner auf Antrag während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, wie ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Bei der Entscheidung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, insbesondere seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten, frei zu würdigen. Der Antrag des Schuldners ist insoweit abzulehnen, wie überwiegende Belange des Gläubigers entgegenstehen. Die Norm stellt also auf den Schutz von tatsächlich erzieltem Einkommen ab, dessen der Schuldner zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bedarf. Demgegenüber kommt § 850i ZPO keine Schutzfunktion hinsichtlich der Mittel zu, die der Schuldner zu benötigen meint, um seine berufliche Selbstständigkeit aufzubauen.
Besondere Bedürfnisse beruflicher Art waren zu prüfen
Das AG erwähnt nicht, welche beruflichen Investitionen der Schuldner tätigen wollte. Die Entscheidung lässt jedenfalls nicht erkennen, dass eine weitergehende Freistellung des Guthabens auf dem P-Konto nach § 850f Abs. 2 ZPO geprüft wurde. Danach kann der Pfändungsfreibetrag erhöht werden, wenn besondere Bedürfnisse des Schuldners aus beruflichen Gründen dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen. Auch § 850f Abs. 2 ZPO ist im Rahmen der Festsetzung der Pfändungsfreigrenzen auf einem P-Konto nach § 850k Abs. 4 ZPO anwendbar.
Besondere Härte der Zwangsvollstreckung war zu erörtern
Soweit die genannten Normen keinen Vollstreckungsschutz vermitteln können, ist als subsidiäre Auffangvorschrift § 765a ZPO zu erörtern. Danach kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Das kann durchaus erwogen werden, wenn die Selbstständigkeit des Schuldners seine einzige denkbare Erwerbsquelle darstellt und durch die Pfändung alternativlos gehindert würde. Das wäre im Einzelfall durch Anhörung des Schuldners oder einen entsprechenden rechtlichen Hinweis zu klären gewesen.
FoVo 4/2017, S. 76 - 78