Leitsatz
Ein Gläubiger, der ein nicht rechtskräftiges Berufungsurteil erwirkt hat, aus dem er nicht vollstreckt, hat weiterhin Anspruch auf Verzugszinsen, wenn er die ihm zur Abwendung der Zwangsvollstreckung angebotene Zahlung des Schuldners zurückweist.
BGH, 15.3.2012 – IX ZR 35/11
1 I. Der Fall
Gläubiger überweist Zahlung unter Vorbehalt zurück
Der Gläubiger hat auf die Zwangsvollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren Urteils während der Zeit der laufenden Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH verzichtet. Eine Zahlung des Schuldners vom 3.3.2008 "allein zur Abwendung der Zwangsvollstreckung" hat er wegen des Vorbehalts zurückgewiesen. Nachdem die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen wurde, hat der Schuldner die Zahlung erneut geleistet, jedoch keine Zinsen für die Zeit ab dem 3.3.2008 gezahlt. Der Gläubiger drohte deshalb die Vollstreckung an. Die hiergegen gerichtete Vollstreckungsgegenklage hat der BGH abgewiesen.
2 II. Die Gründe
Kein Annahmeverzug des Gläubigers
Durch die Ablehnung der angebotenen Zahlung ist der Gläubiger nicht in Annahmeverzug geraten, der jegliche Verzinsung ausgeschlossen hätte (§ 301 BGB). Der Gläubiger kommt dann in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt (§ 293 BGB). Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden (§ 294 BGB). Das ist hier nicht geschehen. Zahlungen aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils sind in der Regel dahin zu verstehen, dass sie nur eine vorläufige Leistung darstellen sollen und unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Bestätigung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit erfolgen (BGH WM 1976, 1069; BGHZ 86, 267). Im Streitfall hat die Klägerin einen entsprechenden Vorbehalt sogar ausdrücklich erklärt. Die unter einer solchen Bedingung stehende Zahlung stellte nicht die von der Klägerin geschuldete Leistung dar. Eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung hat keine Erfüllungswirkung (§ 362 BGB). Der Gläubiger muss also damit rechnen, dass er das Geleistete zurückgewähren muss; er kann nicht nach seinem Belieben mit dem Gegenstand der Leistung verfahren.
Die Ablehnung der angebotenen Zahlung verstieß nicht gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB) oder gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Die Ausübung eines Rechts ist nach § 226 BGB unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen; jeder andere Zweck muss ausgeschlossen sein. Ein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der so nicht geschuldeten Leistung folgt hier bereits daraus, dass der Beklagte den gezahlten Betrag, hätte er ihn angenommen, im Falle der Aufhebung des Urteils vom 4.1.2008 hätte zurückgewähren müssen.
Eine Rechtsausübung ist unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 226 BGB missbräuchlich, wenn sie beachtliche Interessen eines anderen verletzt, ihr aber kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt. Diese Voraussetzungen sind gleichfalls nicht erfüllt. Der Gläubiger hat Anspruch auf die geschuldete Leistung, nicht nur auf eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückzahlung. Mit der Annahme der Vorbehaltsleistung verliert der Gläubiger seinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen, obgleich nicht sicher ist, dass er die Leistung letztlich behalten darf. Bei einer Abänderung oder Aufhebung des Titels kann er nach Maßgabe des § 717 Abs. 3 ZPO zur Erstattung des Geleisteten nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe ab dem Empfang der Leistung verpflichtet sein, ohne sich auf einen Wegfall der Bereicherung berufen zu können.
3 III. Der Praxistipp
Kein Vollstreckungszwang …
Wer ein Urteil erstritten hat, ist nicht verpflichtet, die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Dies gilt erst recht, wenn das Urteil noch vorläufig vollstreckbar ist, d.h. die Gefahr einer abweichenden rechtlichen Entscheidung noch besteht. Das bestätigt nun auch noch einmal der BGH und bewahrt den Gläubiger vor den Nachteilen eines nicht vorbehaltlosen Vorgehens des Schuldners.
… sehr wohl aber ein Erfüllungszwang
Dem Schuldner stand es frei, sich von seinen Verpflichtungen durch Erfüllung zu befreien. Insoweit war er auch nicht schutzlos, weil er die Leistung nach einer Aufhebung des Urteils nach § 812 BGB zurückfordern kann. Allerdings hat der Gläubiger in diesem Fall – zu Recht – keinen Schadensersatz zu leisten, wie er sich nach § 717 ZPO bei einer Vollstreckung ergeben würde. Nachdem der Gläubiger die nicht vorbehaltslose Zahlung nicht angenommen hat, hätte der Schuldner entweder erneut ohne Vorbehalt zahlen oder aber den geschuldeten Betrag nach §§ 372, 378 ZPO hinterlegen müssen.