Leitsatz
Eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachte Pfändung des erst nach Aufhebung des Verfahrens entstehenden Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG kann insolvenzfest sein.
Über den Wortlaut des § 91 Abs. 1 InsO hinaus reicht ein Rechtserwerb irgendwann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht aus; er muss vielmehr vor Beendigung des Verfahrens erfolgen.
BGH, 11.12.2014 – IX ZB 69/12
1 I. Der Fall
Versicherungen der betrieblichen Altersvorsorge gepfändet
Wegen einer Hauptforderung in Höhe von 80.000 EUR nebst Zinsen und Kosten erwirkte der Gläubiger am 16.8.2005 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) gegen die Schuldnerin. Gepfändet wurden Ansprüche der Schuldnerin auf die Versicherungssumme aus zwei mit der Drittschuldnerin geschlossenen Lebensversicherungsverträgen. Die Pfändung bezog "künftig fällig werdende Ansprüche" sowie "das Recht auf Kündigung und Umwandlung der Versicherung" ein. Bei den Lebensversicherungsverträgen handelte es sich um Direktversicherungen im Sinne des § 1b Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betriebsrentengesetz – BetrAVG), welche der Arbeitgeber der Schuldnerin abgeschlossen hatte. Der Erlebensfall sollte am 31.1.2014 und am 30.4.2014 eintreten und sah jeweils eine Kapitalleistung der Drittschuldnerin vor.
Insolvenz und Wohlverhaltensphase
Am 23.3.2006 wurde über das Vermögen der Schuldnerin ein Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem die Schuldnerin am 31.3.2009 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden war, bezog sie ab 9.7.2009 eine Rente der D. und eine solche ihres ehemaligen Arbeitgebers. Spätestens am 29.11.2010 begann die Wohlverhaltensphase zur Erlangung der Restschuldbefreiung. Mit Vollstreckungserinnerung von diesem Tag hat sich die Schuldnerin gegen den PfÜB gewandt, was auch nach der Zulassung der Rechtsbeschwerde Bestand hatte.
2 II. Die Entscheidung
Direktversicherung ist pfändbar
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls als zukünftige Forderung pfändbar (BGH FoVo 2011, 9).
Entscheidend: Gesicherte Position vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Auch § 91 Abs. 1 InsO vermag die Aufhebung des vom Beschwerdegericht auf die zukünftigen Ansprüche der Schuldnerin auf Auszahlung der Versicherungssummen beschränkten PfÜB nicht zu begründen. Danach können nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden, auch wenn keine Verfügung des Schuldners und keine Zwangsvollstreckung für einen Insolvenzgläubiger zugrunde liegen. Wird eine künftige Forderung gepfändet, entsteht das Pfandrecht erst mit der Begründung der voraus gepfändeten Forderung. Wegen § 91 Abs. 1 InsO kann in diesem Fall der Pfandgläubiger an der Forderung zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Dies gilt auch für die Pfändung einer aufschiebend bedingten Forderung. § 91 Abs. 1 InsO schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die bereits eine gesicherte Rechtsstellung an dem Erwerbsgegenstand erworben haben. Wenn der Pfandrechtsgläubiger schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der gepfändeten Forderung erlangt hat, ist die Pfändung insolvenzfest (BGH WM 2012, 549; BGH BGHZ 191, 277; BGH WM 2013, 1040). Diese Grundsätze gelten auch für die Pfändung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG.
Rechtserwerb schon vor der Insolvenz oder nach deren Beendigung
Die Regelungen der §§ 80 ff. InsO gelten nur für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens. Über den Wortlaut des § 91 Abs. 1 InsO hinaus reicht ein Rechtserwerb irgendwann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens deshalb nicht aus; er muss vielmehr vor Beendigung des Verfahrens erfolgen. Eine Anwendung des § 91 Abs. 1 InsO nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kommt nur in Betracht, wenn und soweit es sich um einen der Nachtragsverteilung nach § 203 Abs. 1 InsO unterliegenden Gegenstand der Masse handelt.
Nach Beginn der Wohlverhaltensphase endet § 91 InsO
Vorliegend begann spätestens im Zeitpunkt der Einlegung der Vollstreckungserinnerung am 29.11.2010 die Wohlverhaltensphase. Dies setzt eine vorherige Beendigung des Insolvenzverfahrens voraus (MüKo-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 291 Rn 35; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., Vorbemerkung zu § 286 Rn 40). Ein durch § 91 Abs. 1 InsO möglicherweise gesperrter Pfändungspfandrechtserwerb hätte sich daher nach Verfahrenseröffnung und vor dem 29.11.2010 vollziehen müssen. Davon ist nicht auszugehen.
Zeitpunkt des Rechtserwerbs bestimmt sich nach Versicherungsvertrag
Bei einer Direktversicherung handelt es sich nach der Legaldefinition des § 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG um eine Lebensversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers, ...