Leitsatz
Der Anspruch auf Lieferung eines herauszugebenden Gegenstands zu einem im Vollstreckungstitel bezeichneten Ort unterliegt der Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO.
BGH, 7.1.2016 – I ZB 110/14
1 I. Der Fall
Arbeiten am Trailer mit Lieferung tituliert
Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil, mit dem die Schuldnerin dazu verurteilt worden ist, bestimmte Leistungen an einem Trailer vorzunehmen und diesen dann dem Gläubiger zu liefern. Es wurde festgestellt, dass eine Abnahme des Werks bisher nicht stattgefunden hat, weil der Gläubiger den Trailer noch nicht entgegengenommen habe. Der Gläubiger hat die mit diesem Urteil für die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnete Sicherheitsleistung erbracht.
Auftrag zur Wegnahme durch GV abgelehnt
Der Gläubiger beauftragte nach Zustellung die Gerichtsvollzieherin (GV), den Trailer der Schuldnerin im Wege der Herausgabevollstreckung wegzunehmen und am vertraglich vereinbarten und titulierten (Liefer-)Ort herauszugeben. Die GV teilte daraufhin mit, sie könne die Vollstreckung nicht durchführen, weil es sich nicht um einen Herausgabetitel handele. Die Schuldnerin sei lediglich zur Durchführung eines Transports, also zu einer nach § 887 ZPO zu vollstreckenden vertretbaren Handlung, verurteilt worden.
Rechtsmittel erfolgreich
Während das AG die Erinnerung zurückgewiesen hat, gab das LG ihr auf die sofortige Beschwerde statt. Der Titel auf "Lieferung" sei als Herausgabetitel auszulegen, weil die Lieferung neben der Hauptpflicht der Herausgabe nur einen unselbstständigen Charakter habe. Hiergegen wendet sich nun die Schuldnerin.
2 II. Entscheidung und Praxistipp
Der BGH musste die Entscheidung des LG aus formalen Gründen aufheben, hat sie allerdings in der Sache bestätigt. Wieder einmal muss man schon fast bedauernd sagen, hat ein Einzelrichter die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen, ob wohl er in dieser Konstellation nach § 568 S. 2 Nr. 2 ZPO verpflichtet (BGH NJW 2012, 3518 m.w.N.) gewesen wäre, die Sache zunächst auf die Kammer zu übertragen. Die angefochtene Entscheidung ist damit unter Verletzung des Verfassungsgebots des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen.
"Segelanweisung" bestätigt Gläubiger
Gibt das Rechtsmittelgericht eine Sache an die Vorinstanz zurück, wird nicht selten ein in der Justiz als "Segelanweisung" bezeichneter Hinweis zum weiteren Verfahren erteilt. So ist auch der BGH vorliegend verfahren. Er bestätigt den Ausgangspunkt des Landgerichtes: Der vorliegend titulierte Anspruch auf Lieferung des Fahrzeugs unterliegt der Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO.
Maßgeblich: Auslegung des Titels
Für die Beantwortung der Frage, welchen Vorschriften die Vollstreckung titulierter Verpflichtungen unterliegt, ist zunächst der Vollstreckungstitel auszulegen. Ergibt diese Auslegung, dass im Titel ein Herausgabeanspruch mit weiteren sachbezogenen, die herauszugebende Sache betreffenden Handlungspflichten – etwa zur Versendung, Herstellung oder Reparatur – verbunden ist (vgl. zum Begriff der Handlungspflichten Schilken, DGVZ 1988, 49, 52), so kommt – je nach Gegenstand dieser weiteren Handlungspflichten – eine unterschiedliche vollstreckungsrechtliche Einordnung in Betracht (vgl. Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 883 Rn 4).
Hier geschuldet: Werkleistung und Lieferung
Im vorliegenden Fall umfasst der Vollstreckungstitel sowohl Pflichten zur Vornahme von Werkleistungen an dem Fahrzeug als auch die Pflicht zu dessen Lieferung an einen bestimmten Ort. Der Vollstreckungsauftrag bezieht sich allerdings allein auf die Lieferpflicht. Das LG hat aber zutreffend angenommen, dass sich aus dem Tenor und dem zu seiner Auslegung heranzuziehenden Inhalt des Urteils hinreichend deutlich die Pflicht der Schuldnerin ergibt, das Fahrzeug dem Gläubiger herauszugeben und an dessen Wohnsitz zu liefern.
Einordnung der Versendung
Die vollstreckungsrechtliche Einordnung einer Pflicht zum Versand oder Verbringen einer herauszugebenden Sache ist umstritten.
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Teilweise wird befürwortet, auf die Pflicht zur Organisation des Transports, soweit sie eine vertretbare Handlung darstellt, § 887 ZPO anzuwenden; § 887 Abs. 3 ZPO stehe dem nicht entgegen, weil diese Vorschrift sich allein auf die eigentliche Herausgabe beziehe (OLG Zweibrücken OLG-Rep. 2001, 70). |
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Weiter wird vertreten, ein Verschaffungstitel habe jedenfalls dann eine der Vollstreckung nach § 888 ZPO unterfallende nicht vertretbare Handlung zum Gegenstand, wenn der Transport der Sache – wie etwa die Überführung eines Fahrzeugs über eine lange Strecke – mit erheblichem Aufwand und Risiko verbunden sei (MüKoZPO/Gruber a.a.O. § 883 Rn 16; Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 883 Rn 9; Schneider, MDR 1983, 287, 288). |
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Die Verpflichtung zum Versand oder Verbringen einer beweglichen Sache wird schließlich in Teilen der Rechtsprechung und Literatur als ein die Herausgabevollstreckung nach § 883 ZPO nicht hindernder Umstand angesehen, weil ihr gegenüber der Herausgabepflicht keine relevante eigenständige... |