Leitsatz
Will der Insolvenzverwalter (Treuhänder) erreichen, dass bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrages des Arbeitseinkommens des Schuldners der Ehegatte wegen eigener Einkünfte als Unterhaltsberechtigter nicht berücksichtigt wird, hat er die Entscheidung des Insolvenzgerichts herbeizuführen.
BGH, 3.11.2011 – IX ZR 45/11
1 I. Der Fall
Zwei Ehegatten in der Verbraucherinsolvenz
Die SU und ihr Ehemann befinden sich im Verbraucherinsolvenzverfahren. Sie leben in häuslicher Gemeinschaft. Beide Eheleute sind als Angestellte beschäftigt. Die SU erbringt an ihren Ehemann keine Unterhaltszahlungen. Da die SU bei ihrem Arbeitgeber eine Unterhaltsverpflichtung angegeben hatte, wurde bei der Berechnung der pfändbaren Beträge ihres Arbeitseinkommens von Juni 2007 bis März 2008 eine unterhaltsberechtigte Person berücksichtigt, was zur Erhöhung der Pfändungsfreigrenze führte.
Treuhänder erwirkt Beschluss und begehrt Rückzahlung
Seit April 2008 erhält der Treuhänder, nachdem er einen Beschluss nach § 850c Abs. 4 ZPO erwirkt hat, den vollen pfändbaren Betrag ohne Berücksichtigung von Unterhaltspflichten zur Masse. Er nimmt die SU nun auf Zahlung des nicht abgeführten Differenzbetrages in Höhe von 3.827,50 EUR in Anspruch. AG und LG haben die Klage abgewiesen.
2 II. Die Entscheidung
BGH hat schon Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage
Der BGH hat schon Zulässigkeitsbedenken gegen die Klage. Gegen die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für die vorliegende Klage, mit welcher der Kläger als Treuhänder im Verbraucherinsolvenzverfahren einen gesonderten Zahlungstitel gegen die Schuldnerin begehrt, bestehen Bedenken. Der Sache nach soll die Schuldnerin Geld erhalten haben, das zur Masse gehört (§ 35 Abs. 1 InsO). Nach § 148 Abs. 1 InsO ist es Pflicht des Insolvenzverwalters, nach Eröffnung des Verfahrens das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen in Besitz und Verwaltung zu nehmen. Soweit der Schuldner seinen hierauf bezogenen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, bildet gemäß § 148 Abs. 2 Satz 1 InsO die vollstreckbare Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses zugleich einen Herausgabetitel im Sinne des § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gegen den Schuldner (vgl. BGH ZVI 2009, 74). Für eine zusätzliche Zwangsvollstreckung durch den Insolvenzverwalter oder Treuhänder aufgrund eines Zahlungstitels ist danach grundsätzlich kein Raum.
Vor Antrag nach § 850c Abs. 4 ZPO besteht kein Anspruch
Unabhängig hiervon gebühren die streitgegenständlichen Beträge nicht der Masse. In die Insolvenzmasse fällt nach § 35 Abs. 1 InsO das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Nicht zur Insolvenzmasse gehören gemäß § 36 Abs. 1 InsO die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen (BGH ZVI 2011, 215). Hierunter fallen insbesondere unpfändbare Forderungen, wozu die streitgegenständlichen Beträge zu rechnen sind.
Vorschrift findet auch im Insolvenzverfahren Anwendung
Die Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO eröffnet die Möglichkeit, auf eine Herabsetzung des pfändungsfreien Betrages hinzuwirken, weil die Grundnorm des § 850c Abs. 1 ZPO den anderen Ehegatten, selbst wenn er ein höheres Einkommen erzielt als der Schuldner, grundsätzlich als berücksichtigungsfähige Person wertet. Solange eine solche Bestimmung nicht getroffen ist, bleibt es dabei, dass der Ehegatte, jedenfalls wenn er in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schuldner lebt, gemäß § 35 Abs. 1, § 36 Abs. 1 S. 2 InsO, § 850c Abs. 1 ZPO als unterhaltberechtigte Person zu berücksichtigen ist und die hierauf entfallenden Beträge nicht der Pfändung unterliegen.
Eine nachträgliche Korrektur ist nicht möglich
Ist das Verfahren nach § 850c Abs. 4 ZPO eröffnet, ist es vorrangig und abschließend. Eine andere Lösung, insbesondere eine nachträgliche Feststellung des pfändungsfreien Betrages im Klageweg, ist mit den Grundsätzen der Rechtsklarheit und Praktikabilität nicht zu vereinbaren. Nach der Vorschrift des § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht nach billigem Ermessen anordnen, dass eine nach dem Gesetz unterhaltsberechtigte Person, die eigene Einkünfte hat, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Ab welcher Höhe ein eigenes Einkommen des Unterhaltsberechtigten seine Berücksichtigung bei der Bestimmung der Pfändungsfreibeträge aus Arbeitseinkommen oder diesem gleichgestellten Bezügen des Unterhaltspflichtigen ausschließt, hat der Gesetzgeber bewusst nicht im Einzelnen geregelt, sondern der Rechtsprechung überlassen. Bei der Anwendung der Vorschrift verbietet sich jede schematisierende Betrachtungsweise. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung nach billigem Ermessen unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen...