I. Der Fall
Gläubiger übergibt ältere titulierte Forderung
Der Gläubiger hat uns bereits in der Vergangenheit anderweitig, d.h. von ihm selbst oder einem anderen Rechtsdienstleister, titulierte Forderungen übergeben, die zum Teil schon über mehrere Monate oder Jahre nicht mehr bearbeitet wurden. Der Schuldner hat in dieser Zeit also weder eine Zahlungsaufforderung erhalten, noch wurden gegen ihn Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet oder durchgeführt.
Schuldner soll erst einmal zur Zahlung aufgefordert werden
Der Schuldner soll vor diesem Hintergrund von uns nun zunächst einmal an seine alte Verbindlichkeit erinnert und zur freiwilligen Zahlung aufgefordert werden. Unsere Erfahrung aus der Vergangenheit zeigt, dass in vielen Fällen der Schuldner Kontakt mit uns aufnimmt und entweder – bei kleineren Forderungen – die Gesamtforderung ausgleicht oder aber eine gütliche Einigung erzielt werden kann.
Welche Gebühren entstehen?
Wird der Schuldner zur Zahlung aufgefordert, stellt sich für uns die Frage, welche Gebühr in diesem Zeitpunkt – unabhängig von der weiteren Entwicklung – dann anfällt und von dem Schuldner zu erstatten ist.
II. Die Entscheidung
Es kommt darauf an, welcher Auftrag erteilt ist
Wie so häufig im juristischen Kontext lässt sich die Frage nicht so einfach beantworten. Entscheidend ist nämlich, welchen Auftrag der Gläubiger erteilt hat. Die Abgrenzung zwischen der außergerichtlichen Tätigkeit nach Abschnitt 2 der Anlage 1 zum RVG mit der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG und Abschnitt 3 mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 für das Betreiben der Zwangsvollstreckung bestimmt sich nach der mit dem 2. KostRMoG neugefassten Vorbemerkung 3 Abs. 1 VV RVG. Danach erhält der Rechtsanwalt die Gebühren des 3. Abschnittes nur, wenn ihm der "unbedingte" Auftrag als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigter im gerichtlichen Verfahren erteilt worden ist. Fehlt es daran, wird der Rechtsanwalt außergerichtlich tätig und erhält die Geschäftsgebühr.
Hinweis
Der Gesetzgeber hat dabei bewusst in Kauf genommen, dass der Schuldnervertreter, der eine Zahlungsaufforderung ungeachtet dessen beantwortet, ob diese für den Gläubigervertreter die Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG oder Nr. 3309 VV RVG auslöst, stets die Geschäftsgebühr erhält (ebenso Hergenröder, DGVZ 2014, 110).
Im Leserfall: Geschäftsgebühr fällt an
Wenn der Gläubiger die Titel also mit der Maßgabe übergeben hat, zunächst die außergerichtliche Zahlungsbereitschaft des Schuldners herbeizuführen, ohne Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten, und erst bei erfolglosen Bemühungen auch zum Mittel der Zwangsvollstreckung zu greifen, wurde ihm kein unbedingter, sondern lediglich ein bedingter Auftrag erteilt. Da die Bedingung im Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung noch nicht eingetreten ist, wird der Rechtsanwalt außergerichtlich tätig, so dass die Geschäftsgebühr angefallen ist.
Hinweis
Diese Feststellung sagt allerdings noch nichts über die Höhe der Geschäftsgebühr aus. Innerhalb des Rahmens von 0,5–2,5 nach Nr. 2300 VV RVG ist sie unter Beachtung der 1,3-Schwellengebühr und der Kriterien des § 14 RVG zu bestimmen. Dabei ist auch zu sehen, dass es anders als bei einer untitulierten vorgerichtlichen Forderung keiner umfassenden Prüfung der materiell-rechtlichen Berechtigung bedarf. Im Einzelfall dürfte sogar nur die Gebühr für ein einfaches Schreiben nach Nr. 2301 VV RVG in Betracht kommen.
Fortgesetzte Tätigkeit beachten
War der Rechtsanwalt bereits vorgerichtlich tätig und hat hier die Geschäftsgebühr bereits erhalten, so lässt die nach der Titulierung wegen der gleichen Forderung ausgesprochene Zahlungsaufforderung allerdings keine neue Geschäftsgebühr anfallen. Die Zahlungsaufforderung ist dann mit der früheren Gebühr bereits abgegolten. Anderes gilt, wenn die Zahlungsaufforderung für sich nun eine Erhöhung der Gebühr in deren Rahmen (0,5–2,5) erlaubt, etwa weil die Angelegenheit nun umfangreich oder schwer geworden ist. Dies könnte beispielsweise in Betracht kommen, wenn der Aufforderung umfangreiche Ermittlungen zum Aufenthaltsort des Schuldners vorausgingen. § 15 RVG bestimmt nämlich, dass die Gebühren in einer Angelegenheit nur einmal gefordert werden können und die Tätigkeit vom Auftrag bis zu dessen Erledigung abgelten.
Hinweis
Etwas anderes gilt nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG allerdings dann, wenn zwischen der letzten vorgerichtlichen Tätigkeit und der neuerlichen außergerichtlichen Tätigkeit mehr als zwei Kalenderjahre liegen. In diesem Fall entsteht die Geschäftsgebühr nach Ablauf der zwei Kalenderjahre erneut. Voraussetzung: Der erste Auftrag wurde tatsächlich erledigt. Eine reine Verfahrensaussetzung genügt nicht (Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl. 2013, § 15 RVG Rn 156). Durch den Begriff des Kalenderjahres ist klargestellt, dass die Frist erst mit dem Ende des Jahres zu laufen beginnt, in dem der erste Auftrag erledigt wurde.
Tipp
Um spätere Streitigkeiten zu vermeiden, sollte das Ende eines Auftrages gegenüber dem Auftraggeber stets schriftlich dokumentiert werden. Danach kann bei titulierten Ansprüchen durchaus ein...