Leitsatz
1a. Gibt der Insolvenzverwalter die selbstständige Tätigkeit des Schuldners frei, steht dem Schuldner für Forderungen aus seiner selbstständigen Tätigkeit, die von der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit umfasst sind, im Verhältnis zur Masse kein Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte zu.
1b. Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte kann für Zahlungen auf Forderungen des Schuldners aus dessen selbstständiger Tätigkeit, die zwar erst nach Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners beglichen werden, die aber in die Masse fallen, im Hinblick auf die nach der Freigabe vom Schuldner begründeten Neuverbindlichkeiten nicht gewährt werden.
2. Kann der Schuldner seinen Unterhalt und den seiner Familie nicht aus seiner freigegebenen selbstständigen Tätigkeit erwirtschaften, kann er Unterhaltsansprüche weiterhin gegen die Insolvenzmasse geltend machen.
BGH, Beschl. v. 25.1.2018 – IX ZA 19/17
1 I. Der Fall
Insolvenzverwalter gibt Tätigkeit als Arzt frei
Der Schuldner betreibt eine Arztpraxis und behandelt nach eigener Darstellung überwiegend Kassenpatienten. Am 9.2.2017 – auf Fremd- und Eigenantrag, verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung – eröffnete das AG das Insolvenzverfahren über sein Vermögen und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter. Dieser erklärte gegenüber dem Schuldner mit Schreiben vom 10.2.2017, dass das Vermögen aus seiner selbstständigen Tätigkeit als Orthopäde rückwirkend ab Insolvenzeröffnung nicht zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser selbstständigen Tätigkeit im Insolvenzverfahren nicht geltend gemacht werden könnten.
KV weiß nicht, an wen sie zahlen soll
Die zuständige kassenärztliche Vereinigung (KV) fragte am 15.2.2017 beim Insolvenzverwalter an, an wen sie die zweite Rate für das 1. Quartal 2017 (fällig am 20.2.2017), die dritte Rate für das 4. Quartal 2016 (fällig am 16.3.2017), die Restzahlung für das 4. Quartal 2016 (fällig Ende April 2017), die 3. Rate für das 1. Quartal 2017 (fällig am 19.6.2017) und die Restzahlung für das 1. Quartal 2017 (fällig Ende Juli 2017) überweisen solle.
Darauf Schuldnerantrag zur Freigabe von fast 13.000 EUR p.m.
Der Schuldner hat im Hinblick auf diese angekündigten Zahlungen beantragt, ihm mit Wirkung ab 10.2.2017 monatlich 8.813,85 EUR zur Deckung seines betrieblichen Aufwands und 4.000 EUR zur Deckung des privaten Bedarfs zu belassen. Das AG hat diesen Antrag abgelehnt, das LG hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Schuldner beantragt nunmehr, ihm für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens PKH zu bewilligen.
2 II. Die Entscheidung
BGH sieht keinen Grund für die Freigabe
Der Antrag ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht vorliegen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine Aussicht auf Erfolg, auch wenn die beabsichtigte Rechtsbeschwerde nach Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft wäre (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO). Das Beschwerdegericht hat richtig entschieden.
Nicht alle Abgrenzungsfragen sind relevant
Dabei kann dahinstehen, in welchem Umfang und nach welchen Maßstäben Honorarforderungen für ärztliche Behandlungen, die vor einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters begonnen worden sind, nach der Freigabeerklärung der Insolvenzmasse oder dem Schuldner zuzuordnen sind (BGHZ 167, 363 Rn 25; BGH NZI 2013, 641; BSGE 118, 30). Ebenso kann dahinstehen, in welchem Umfang für Einkünfte eines selbstständig tätigen Schuldners bei einer nicht freigegebenen Tätigkeit nach Insolvenzeröffnung Pfändungsschutz nach § 850i ZPO besteht. Beide Fragen stellen sich im Streitfall nicht. Soweit die Honorarforderungen im Streitfall dem Schuldner zustehen sollten, besteht gegenüber der Masse kein Raum für einen Pfändungsschutz nach § 850i ZPO. Selbst wenn die Honorarforderungen im Streitfall der Masse zustehen sollten, kann der Schuldner für solche Forderungen keinen Pfändungsschutz nach § 850i ZPO für Zeiträume beantragen, die nach der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit liegen.
§ 850i ZPO findet keine Anwendung gegenüber der Masse
Bezogen auf den Neuerwerb aus der freigegebenen selbstständigen Tätigkeit findet § 850i ZPO im Verhältnis zur Masse keine Anwendung.
Die Freigabe von Vermögenswerten durch den Verwalter (vgl. § 32 Abs. 3 S. 1 InsO) bedeutet, dass der Insolvenzbeschlag erlischt und der Schuldner die Verfügungsbefugnis zurückerhält. Die betroffenen Gegenstände scheiden aus der Insolvenzmasse aus und unterliegen ebenso wie das insolvenzfreie Vermögen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners. Bei der Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners knüpft § 35 Abs. 2 S. 1 InsO klarstellend an die allgemeine Freigabebefugnis des Insolvenzverwalters an. Mit der Freigabeerklärung verzichtet der Verwalter endgültig und unbedingt auf seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Vermögens aus der selbstständigen Tätigkeit. Infolge der Freigabe fällt darum der Neuerwerb des Schuldners aus der freiberuflichen Tätigkeit – anders ...