Leitsatz
Aus einem Titel über einen Anspruch aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung (§ 263 StGB) im Zusammenhang mit dem Kauf von Kinderschuhen können Ansprüche der Schuldnerin auf Zahlung von Kindergeld nicht gepfändet werden.
BGH, 9.3.2016 – VII ZB 68/13
1 I. Der Fall
Vollstreckung nach qualifizierter Titulierung
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil, durch das die Schuldnerin zur Zahlung von 49,95 EUR zuzüglich Zinsen und außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten an die Gläubigerin verurteilt worden ist. Ferner ist festgestellt worden, dass die Schuldnerin die Forderungen aus vorsätzlich unerlaubter Handlung gemäß § 263 StGB schuldet. Der Verurteilung liegt ein Kauf von Kinderschuhen der Größe 25 für ein Kind der Schuldnerin zugrunde.
PfÜB wegen des Kindergeldes vom LG aufgehoben
Auf Antrag der Gläubigerin hat das AG einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB) erlassen, durch den der Anspruch der Schuldnerin auf Auszahlung des fälligen und künftigen Kindergeldes gegenüber der Drittschuldnerin, das Kind betreffend, gepfändet worden ist. Auf die sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin hat das LG den PfÜB aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Gläubigerin.
2 II. Aus der Entscheidung
Keine teleologische Erweiterung von § 76 EStG
Die Voraussetzungen des § 76 Satz 1 EStG, unter denen der Anspruch auf Kindergeld ausnahmsweise der Pfändung unterliegt, liegen nicht vor. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nicht wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche des Kindes. Die von der Gläubigerin gewünschte teleologische Erweiterung der Vorschrift auf Fälle, in denen die Pfändung des Anspruchs auf Kindergeld wegen solcher Ansprüche erfolgt, die mit dem Unterhalt des Kindes in einem inneren Zusammenhang stehen, ist nicht möglich.
BGH verneint Analogiefähigkeit
In Betracht zu ziehen wäre allenfalls eine entsprechende Anwendung des § 76 Satz 1 EStG für Fälle der vorliegenden Art. Die Voraussetzungen einer Analogie zu der dort genannten Ausnahme werden aber weder dargelegt, noch liegen sie vor. Soweit ersichtlich wird auch von niemandem vertreten, dass die Vorschrift auf derartige Ansprüche analog anzuwenden wäre (vgl. etwa OVG Magdeburg NvWZ-RR 2000, 326).
Keine planwidrige Lücke und vergleichbare Interessenlage
Es spricht schon nichts dafür, dass das Gesetz eine planwidrige Lücke aufweist. Es erscheint ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber übersehen haben könnte, dass es Ansprüche Dritter gibt, die mit dem Unterhalt des Kindes in einem inneren Zusammenhang stehen. Denn solche Ansprüche entstehen regelmäßig in großer Zahl bei der Versorgung eines Kindes. Es fehlt außerdem aus mehreren Gründen an einer vergleichbaren Interessenlage. Die grundsätzliche Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Kindergeld dient dazu sicherzustellen, dass dem Kindergeldberechtigten das Geld auch tatsächlich zufließt, damit er ungehindert hierüber zugunsten des Kindes verfügen kann; mittelbar wird damit auch das Kind geschützt, dem das Kindergeld zugutekommen soll (vgl. Felix, in: Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 76 Rn 1). Diese Unpfändbarkeit würde sich jedoch ihrem Sinn zuwider nachteilig für das begünstigte Kind auswirken, wenn dessen gesetzliche Unterhaltsansprüche nicht erfüllt werden und im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden sollen. Deshalb ist wegen dieser Ansprüche die Pfändung möglich, wodurch im Ergebnis das Kindergeld direkt dem Kind zufließen kann. Schließlich ist es außerdem nicht in gleicher Weise wie bei der Qualifizierung als gesetzlicher Unterhaltsanspruch möglich, mit hinreichender Klarheit für das Vollstreckungsverfahren zu bestimmen, wegen welcher sonstigen Ansprüche eine Pfändung zulässig sein sollte.
3 Der Praxistipp
Beim Vertragsschluss beginnt das Forderungsmanagement
Der Gläubiger kann nach der Entscheidung des BGH auch im Zusammenhang mit unterhaltsrelevanten Waren oder Dienstleistungen für Kinder nicht erwarten, seine Lösung im Vollstreckungsrecht zu finden. Die Regelung des § 76 EStG ist eindeutig: Der Anspruch auf Kindergeld kann nur wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche eines Kindes, das bei der Festsetzung des Kindergeldes berücksichtigt wird, gepfändet werden. Der Gläubiger muss deshalb versuchen, sich schon vor dem Vertragsabschluss der Bonität des Schuldners zu versichern. Die klassischen Auskunfteien sind hier der Partner.
Hinweis
Solche Leistungen können vom Gläubiger auch mit dem Forderungsfactoring verbunden werden. Der Auskunftsdienstleister übernimmt das Risiko einer "fehlerhaften" Auskunft, kauft die Forderung, wenn sie doch notleidend wird, und übernimmt dann das weitere Inkasso.
Die zweite Stufe der Forderungssicherung betrifft den Vertragsinhalt. Bei Forderungen in gewisser Höhe muss der Gläubiger erwägen, inwieweit er von dem Schuldner Sicherheiten verlangt. Mitschuldner, Bürgen, Sicherheitsleistungen sind mögliche Instrumente. Dies war im vorliegenden Fall angesichts der geringen Forderungshöhe allerdings nicht angezeigt. Dabei führt eine Vielzahl von Ausfällen bei kleinen Forderungen zum gleichen Schaden wie ein Ausfall bei einer großen Ford...