Leitsatz
1. Die Pfändung von "Arbeitseinkommen" erfasst grundsätzlich auch verschleiertes Arbeitseinkommen i.S.v. § 850h Abs. 2 ZPO.
2. Bei der Frage, ob die Bezüge des Vorstands einer Aktiengesellschaft unangemessen niedrig sind, kommt es vor allem auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens und auf die Art der Tätigkeit des Vorstands an. Befindet sich das Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, kann es dennoch angemessen erscheinen, dem Vorstand hohe Bezüge zu zahlen, wenn dessen Tätigkeit im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens mit besonderer Verantwortung und mit besonderen Anforderungen verbunden ist.
3. Wird die AktG als Drittschuldnerin wegen verschleierter Bezüge ihres Vorstands in Anspruch genommen, obliegt ihr eine sekundäre Darlegungslast, soweit es um die internen Verhältnisse des Unternehmens geht. Unklare, unvollständige oder widersprüchliche Darlegungen der Drittschuldnerin können sich im Zivilprozess zu ihren Lasten auswirken.
4. Weichen die Angaben der Drittschuldnerin im Prozess (angebliche Beschränkung des Unternehmens auf reine Abwicklungsmaßnahmen) von ihrer Selbstdarstellung in den Geschäftsberichten ab ("Neuausrichtung des Geschäftsmodells" mit hohen Anforderungen an die Tätigkeit des Vorstands), obliegt es der Drittschuldnerin, diese Widersprüche auszuräumen bzw. plausibel zu erklären.
OLG Karlsruhe, 24.11.2011 – 9 U 18/11
Der Praxistipp
Leitsätze bringen es auf den Punkt
Die Leitsätze geben den wesentlichen Inhalt der Entscheidung wieder. Die sehr ausführlich begründete Entscheidung beschäftigt sich im Übrigen mit der Anwendung der Grundsätze auf den konkreten Einzelfall. Nicht immer ist das Unternehmen eine Aktiengesellschaft, in der der SU als Vorstand beschäftigt ist. Aber sehr häufig ist der SU in einem Unternehmen tätig, das im – jedenfalls äußerlichen – Eigentum eines Dritten steht, der wiederum dem SU sehr nahesteht, d.h. seines Ehegatten, seiner Eltern, seiner Geschwister oder seiner eigenen Kinder.
Schnell handeln: Anfechtungsrecht prüfen
Nicht selten hat der SU das Unternehmen auch erst auf die ihm nahestehenden Personen übertragen, als er sich der aufkommenden Krise bewusst wurde. Dann ist schnelles Handeln gefragt. Hat der SU das Unternehmen nämlich gleich in welcher Art, d.h. entgeltlich oder unentgeltlich, auf die ihm nahestehende Person übertragen, um es dem Zugriff seiner Gläubiger zu entziehen, so ist diese Übertragung nach den §§ 3 ff. des Anfechtungsgesetzes (AnfG) in der Weise anfechtbar, dass die nahestehenden Personen das Unternehmen zum Zwecke der Zwangsvollstreckung zur Verfügung stellen müssen.
Hinweis
Diese eher theoretische Möglichkeit wird in der Praxis meist durch eine gütliche Einigung umgangen. Die nahestehende Person zahlt zur Abwendung der Anfechtung an den Gläubiger einen Abfindungsbetrag oder regelmäßige Raten auf die Schuld des SU und bietet entsprechende Sicherheiten.
§ 850h ZPO: Zwei praxisrelevante Regelungen
In § 850h ZPO finden sich zwei für die Praxis hoch relevante Regelungen. Zum einen soll der Lohnverschiebung entgegengewirkt werden, zum anderen der Lohnverschleierung.
Eine Lohnverschiebung liegt vor, wenn der SU die volle Arbeitsleistung erbringt, das dafür geschuldete Entgelt aber auf ihn und einen Dritten aufgeteilt wird. Der gewünschte Effekt: Der SU verfügt über kein Arbeitseinkommen, das die Pfändungsfreigrenze übersteigt.
Eine Lohnverschleierung liegt dagegen vor, wenn der SU Dienste leistet, die üblicherweise vergütet werden, ohne eine solche Vergütung oder jedenfalls eine angemessene Vergütung zu erhalten.
Der Schlüssel zum Erfolg: Informationsmanagement
Die Schwierigkeit in der Praxis liegt darin, die maßgeblichen Sachverhalte aufzudecken. Hier hilft nun die Entscheidung des OLG Karlsruhe nachhaltig.
Bezieht der SU für eine Beschäftigung lediglich ein Gehalt unterhalb der Pfändungsfreigrenze, muss zunächst geprüft werden, um welche Tätigkeit es sich handelt, in welchem zeitlichen Umfang sie wahrgenommen wird und wie eine solche Tätigkeit üblicherweise vergütet wird. Für den ersten Teil muss auf die Angaben des Schuldners im Rahmen der eidesstattlichen Versicherung, seine Ausbildung und seine bisherigen Tätigkeiten, aber auch Recherchen des Mandanten oder eigene Recherchen (Internetauftritt des Unternehmens, eigene Internetpräsenz des SU) zurückgegriffen werden. Hinsichtlich der üblichen Vergütung kann ebenfalls auf einschlägige Informationsangebote im Internet, aber auch auf die Industrie-, Handels- und Handwerkskammern oder die Gewerkschaften als Auskunftsquelle zurückgegriffen werden.
Der kritische Einwand: mangelnde Leistungsfähigkeit
Stellt sich danach heraus, dass der SU keinen angemessenen Lohn erhalten hat, bleibt dem Arbeitsgeber als Drittschuldner, den Einwand der mangelnden Leistungsfähigkeit vorzubringen. Dabei ist auf eine hinreichende Substantiierung zu achten. Mit dem OLG Karlsruhe ist dann davon auszugehen, dass selbst die mangelnde Leistungsfähigkeit nicht geltend gemacht werden kann, wenn von dem SU als Arbeitnehmer ganz besond...