Leitsatz
Wird in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ein Titel als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt, findet eine Ordre-public-Überprüfung im Vollstreckungsstaat nicht statt.
BGH, 24.4.2014 – VII ZB 28/13
1 I. Der Fall
Zahlungsbefehl des polnischen Mahngerichts
Die Schuldnerin begehrt die Verweigerung bzw. Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus einem polnischen Vollstreckungstitel. Die Gläubigerin, eine Gesellschaft mit Sitz in Polen, erwirkte gegen die Schuldnerin am 3.6.2008 im Mahnverfahren einen Zahlungsbefehl des Amtsgerichts E./Polen. Am 2.4.2009 bestätigte das Amtsgericht diesem Titel die Qualität eines Europäischen Vollstreckungstitels nach der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 21.4.2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen – EuVTVO – (ABl L 143/15 v. 30.4.04.). Daraus betreibt die Gläubigerin nunmehr die Zwangsvollstreckung in Deutschland, wobei noch keine konkreten Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt sind.
Vollstreckung in Deutschland
Gegen die der Schuldnerin am 18.5.2011 durch die Obergerichtsvollzieherin angekündigte Zwangsvollstreckung hat die Schuldnerin mit der Begründung, ihr sei weder ein verfahrenseinleitendes Schriftstück noch der Zahlungsbefehl selbst zugestellt worden, Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO eingelegt. Die Zwangsvollstreckung aus diesem Titel in der Bundesrepublik Deutschland verstoße gegen den ordre public.
Rechtsmittel in Deutschland und Polen erfolglos
Das AG hat die Erinnerung zurückgewiesen. Parallel zu dem Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht hat die Schuldnerin bei dem Amtsgericht E./Polen einen Antrag auf Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 10 Abs. 1 lit. b EuVTVO gestellt. Der Antrag wurde abgelehnt, wobei die Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin nach ihren eigenen Angaben zu dem Termin nicht geladen worden seien. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Schuldnerin hat das Amtsgericht E. als verfristet verworfen. Das polnische Bezirksgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Danach hat das LG die sofortige Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des AG zurückgewiesen.
2 II. Die Entscheidung
BGH folgt Vorinstanzen
Der BGH hat sich den Vorinstanzen angeschlossen und die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Der Antrag der Schuldnerin auf Verweigerung der Zwangsvollstreckung sei unbegründet.
Art. 21 EuVTVO nicht einschlägig
Art. 21 EuVTVO eröffnet für die Gerichte des Vollstreckungsstaats die Möglichkeit, unter Geltung der Verordnung die Zwangsvollstreckung dauerhaft zu verweigern, wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Im Übrigen ist weder die zu vollstreckende Entscheidung noch ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Vollstreckungsstaat in der Sache selbst nachprüfbar, Art. 21 Abs. 2 EuVTVO.
Keine Ordre-public-Prüfung im Vollstreckungsstaat
Die Verordnung lässt eine Ordre-public-Prüfung durch die Gerichte im Vollstreckungsstaat nicht zu. Zum ordre public gehört
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einerseits der materiell-rechtliche ordre public, der Verstöße gegen das materielle Recht und das Kollisionsrecht erfasst, |
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andererseits der verfahrensrechtliche ordre public, unter anderem der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und der Anspruch auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. |
Verfahrensfehler in Polen bleiben unerheblich
Ob die polnischen Gerichte Verfahrensverstöße begangen haben, kann dahingestellt bleiben, denn mit der Verordnung hat der EU-Verordnungsgeber für Titel, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, das Erfordernis der Anerkennung und das Vollstreckbarerklärungsverfahren sowie die Möglichkeit der Ordre-public-Kontrolle ersatzlos abgeschafft.
Die Begründung des BGH
Der BGH nennt mehrere Gründe für seine Sicht der Dinge:
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Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 5 EuVTVO. Der Ordre-public-Vorbehalt ist in der Systematik des Europäischen Zivilverfahrensrechts im Rahmen der Anerkennung und des Verfahrens zur Vollstreckbarerklärung verortet. Insofern folgt aus der mit Art. 5 EuVTVO statuierten Anerkennung und Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung bei dem gleichzeitigen Ausschluss der Möglichkeit, die Anerkennung anzufechten, dass für eine Ordre-public-Prüfung unter Anwendung der Verordnung kein Raum bleibt. Konsequent zur Abschaffung des Erfordernisses der Anerkennung und des Vollstreckbarerklärungsverfahrens in Art. 5 EuVTVO fehlt in der Verordnung auch eine Vorschrift, die Art. 34 EuGVVO entsprechen würde. |
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Art. 21 EuVTVO bestätigt dies, indem der Verordnungsgeber in Abs. 1 als einzigen Grund nach der Verordnung, die Vollstreckung dauerhaft zu versagen, die Unvereinbarkeit mit einer früheren Entscheidung in einem Mitgliedsland oder einem Drittstaat festlegt und in Abs. 2 jegliche Nachprüfung der Entscheidung selbst sowie der Bestätigung als Europäischer Vollstrecku... |