Leitsatz
Der Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte erfasst alle eigenständig erwirtschafteten Einkünfte.
BGH, 26.6.2014 – IX ZB 88/13
1 I. Der Fall
Pfändungsschutz für Einnahmen aus Nießbrauch
Im April 2008 erhielt der 1940 geborene Schuldner den Nießbrauch an einem Grundstück, woraus er monatlich 800 EUR erlöst. Weiter beziehen der Schuldner und seine Ehefrau gesetzliche Altersrenten in Höhe von monatlich 321,39 EUR und 472,39 EUR. Über sein Vermögen wurde am 1.10.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Schuldner hat beantragt, die monatlichen Einnahmen aus dem Nießbrauch pfandfrei zu stellen. Das AG hat den Antrag abgelehnt, das LG die Sache unter Zulassung der Rechtsbeschwerde zurückverwiesen, weil das AG § 850i ZPO nicht geprüft habe. Hiergegen wendet sich der Insolvenzverwalter.
2 II. Die Entscheidung
Pfändungsfreies Vermögen ist zu bestimmen
Nach § 35 Abs. 1 InsO fällt in die Insolvenzmasse das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er im Laufe des Verfahrens erlangt. Nicht in die Insolvenzmasse gehören gemäß § 36 Abs. 1 InsO die Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nimmt ausdrücklich § 850i ZPO in Bezug. Diese Regelung ist durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 7.7.2009 geändert worden (BGBl I 2009, S. 1707). Danach hat der Gesetzgeber den Pfändungsschutz auf "sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind", erweitert.
Hinweis
Die Entscheidung des BGH vom 21.12.2004 (IXa ZB 228/03 = InVo 2005, 237) ist deswegen überholt. Dort hatte der BGH entschieden, dass Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung außerhalb des von § 851b ZPO umfassten Bereichs grundsätzlich uneingeschränkt pfändbar sind, was auf den Nießbrauch zu übertragen wäre.
Was zu den sonstigen Einkünften gehört ist umstritten:
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Einerseits wird vertreten, nach Sinn und Zweck des § 850i Abs. 1 Fall 2 ZPO unterfielen die Erträge aus Vermögen, Kapitalerträge und -tilgungsleistungen, Entgelte für Veräußerung privater Vermögensgegenstände, Entgelte für Überlassung einer Sache (Miete und Pacht), Zahlungen bei Vermögensauseinandersetzung und Steuererstattungen nicht dem Pfändungsschutz nach dieser Regelung (Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl., Rn 1234; Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 850i Rn 1). Jedenfalls dürfe nach der Systematik des Gesetzes nur das Einkommen Erwerbstätiger von § 850i ZPO erfasst sein. |
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Andererseits wird angenommen, nach der Neufassung des § 850i Abs. 1 ZPO komme es nicht mehr darauf an, ob die Einkünfte auf persönlich geleisteten Arbeiten oder Diensten beruhten (Fall 1) oder auf dem Einsatz von Personal oder Kapital (Fall 2). Auch Einkünfte aus sogenannter kapitalistischer Tätigkeit rechneten hierzu, etwa aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung, auch Werklohnansprüche und Verkaufserlöse (LG Bonn ZInsO 2012, 2056; Musielak/Becker, ZPO, 11. Aufl., § 850i Rn 3; Saenger/Kemper, Hk-ZPO, 5. Aufl., § 850i Rn 6 f; BeckOK-ZPO/Riedel, 2014, § 850i Rn 5 f, 11), solange die Einkünfte selbst erzielt, also eigenständig erwirtschaftet sind (Meller-Hannich, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Aufl., § 850i Rn 7; Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 6. Aufl., § 850i Rn 19 f; Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2359 f; Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530, 531). |
Der BGH schließt sich der weiten zweiten Ansicht an
Schon der Wortlaut der Regelung spricht für eine weite Auslegung; denn danach sollen Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, auf Antrag des Schuldners dem Pfändungsschutz unterfallen können. Voraussetzung für den Pfändungsschutz für diese Einkünfte in § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 2 ZPO ist nicht mehr die Verknüpfung der Einkünfte mit der Arbeitskraft des Schuldners, wie es die erste Alternative voraussetzt. Um einen Pfändungsschutz zu erlangen, muss nicht die Arbeitskraft des Schuldners verwertet sein. Bezugsgröße ist nunmehr ein auf breite Basis gestellter Schutz des selbst erwirtschafteten Lebensunterhalts (Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 6. Aufl., § 850i Rn 19; Ahrens, ZInsO 2010, 2357, 2360; Meller-Hannich, WM 2011, 529). Die neue Regelung gibt die frühere Differenzierung nach dem Grund der Forderung auf. Ob Arbeiten oder Dienste persönlich erbracht werden oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Pfändungsschutz erhalten nunmehr sämtliche Arten von Einkünften. Das gilt unabhängig davon, ob überhaupt eine Erwerbstätigkeit vorliegt und ob zur Entstehung einer Forderung verwertetes Kapital erarbeitet wurde, solange die Einkünfte nur selbst erzielt sind (Meller-Hannich, WM 2011, 529, 530).
Systematisch wird der Unterhalt des SU gesichert
Eine solche Auslegung erscheint auch systemgerecht. In den §§ 850 ff. ZPO ist das Arbeitseinkommen vor Pfändung geschützt. Die Ansprüche auf die gesetzliche Rente sind nur hinsichtlich des die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen übersteigenden Betrages abtretbar und pfändbar (§ 53 Abs. 3, § 54 Abs. 4 SGB I). Entsprechendes gilt im Grundsatz für die Sozialleistungen. Vertragliche Altersrente...