Leitsatz
1. Gegen die Nichterteilung der vollstreckbaren Ausfertigung ist im Insolvenzverfahren die sofortige Beschwerde statthaft.
2. Widerspricht der Schuldner lediglich dem Rechtsgrund einer Forderung als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, ist dem Gläubiger auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung aus der Eintragung der Forderung in der Tabelle eine vollstreckbare Ausfertigung zu erteilen.
3. Das während der Wohlverhaltensphase im Restschuldbefreiungsverfahren geltende Vollstreckungsverbot steht der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle nicht entgegen.
4. Durch Ausschüttungen im Rahmen des Verteilungsverfahrens werden mehrere Forderungen eines Insolvenzgläubigers nach dem Verhältnis ihrer Beträge berichtigt; abweichende Anrechnungsvorschriften finden keine Anwendung.
BGH, Beschl. v. 18.6.2020 – IX ZB 46/18
1 I. Der Fall
Eine Anmeldung aus zwei Rechtsgründen
In dem am 10.9.2012 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners meldete die Gläubigerin offene Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 4.851,73 EUR nebst Säumniszuschlägen (359,50 EUR) und Mahngebühren (11,33 EUR) zur Tabelle an. Hinsichtlich der in der Beitragsforderung enthaltenen Arbeitnehmeranteile von 2.347,34 EUR verwies die Gläubigerin auf den Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Die angemeldeten Forderungen wurden in voller Höhe zur Tabelle festgestellt.
Schuldner widerspricht nur teilweise
Der Schuldner widersprach nicht den angemeldeten Forderungen an sich, sondern dem Rechtsgrund einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.
Mit Beschluss vom 5.1.2016 stellte das Insolvenzgericht fest, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlange, wenn er für die Dauer der Abtretungsfrist seine Obliegenheiten erfülle und die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung nicht vorlägen. Mit Beschluss vom 11.11.2016 wurde das Insolvenzverfahren unter Anordnung einer Nachtragsverteilung aufgehoben. Im Rahmen der Schluss- und der Nachtragverteilung wurden insgesamt 232,95 EUR an die Gläubigerin ausgeschüttet.
Gläubigerin beantragt erfolglos vollstreckbare Ausfertigung
Während der noch laufenden Wohlverhaltensperiode hat die Gläubigerin die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Tabellenauszugs beantragt. Der Rechtspfleger des Insolvenzgerichts hat den Antrag abgelehnt. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Tabellenauszugs weiter.
2 II. Aus der Entscheidung
Keine Zulässigkeitsbedenken
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache führt die Beschwerde zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an den zuständigen Einzelrichter des Beschwerdegerichts. Die Rechtsbeschwerde ist infolge der Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig.
Erstbeschwerde war statthaft …
Allerdings setzt die Befugnis zur Rechtsbeschwerde voraus, dass bereits die Erstbeschwerde statthaft war. War die sofortige Beschwerde unstatthaft, fehlt es für das Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht an einer Grundlage. Ein für den Beschwerdeführer vom Gesetz nicht vorgesehener Rechtsmittelzug kann auch durch eine Fehlentscheidung des ersten Rechtsmittelgerichts nicht eröffnet werden. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu prüfen. Die Erstbeschwerde war nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 4 InsO statthaft.
… was sich nicht aus der InsO ergibt …
Nach § 6 Abs. 1 S. 1 InsO unterliegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Für die Ablehnung der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Tabelle sieht die Insolvenzordnung ein Rechtsmittel nicht vor. Bei der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung aus der Insolvenztabelle handelt es sich indes um eine außerhalb des Insolvenzverfahrens zu treffende Entscheidung (vgl. BGH ZInsO 2011, 1032 Rn 6; BGH ZInsO 2011, 2278 Rn 5). Das zeigt § 201 Abs. 2 S. 3 InsO, wonach der Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens gestellt werden kann. Ob die Erstbeschwerde der Gläubigerin statthaft war, richtet sich daher nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung.
… aber aus der ZPO!
Wird die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung – wie hier – durch den Rechtspfleger des Gerichts erster Instanz abgelehnt, ist das statthafte Rechtsmittel für den Gläubiger die sofortige Beschwerde nach den §§ 567 ff. ZPO (Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 724 Rn 11; MüKo-ZPO/Wolfsteiner, 5. Aufl., § 724 Rn 55; Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl., § 724 Rn 13; BeckOK-ZPO/Ulrici, Stand 1.3.2020, § 724 Rn 35). § 793 ZPO findet keine Anwendung, weil die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nicht Teil der Zwangsvollstreckung is...