Leitsatz
1. Bei einer Räumungsvollstreckung müssen die Gläubiger eine Rechtsnachfolgeklausel gemäß § 750 Abs. 2, § 727 ZPO nur dann erwirken, wenn sich aus den Gesamtumständen klar und eindeutig ergibt, dass die Rechtsnachfolger des Schuldners tatsächlichen (Mit-)Besitz an den Räumen haben.
2. Die Bestimmung des § 563a Abs. 1 BGB setzt voraus, dass zum Zeitpunkt des Todes eines Mieters ein gemeinsames Mietverhältnis im Sinne des § 563 BGB bestanden hat.
3. "Besitz" im Sinne des § 885 ZPO meint den Besitz in Form des "Gewahrsams" gemäß § 886 ZPO, der seinerseits dem unmittelbaren Besitz nach § 854 Abs. 1 BGB entspricht.
4. Der nicht tatsächlich ausgeübte, das heißt fiktive Erbenbesitz nach § 857 BGB begründet – jedenfalls soweit und solange Gewahrsam eines Dritten besteht – keinen Gewahrsam im Sinne einer tatsächlichen, nach außen erkennbaren Sachherrschaft.
5. Für die Räumung gemäß § 885 ZPO genügt ein gegen einen von mehreren Mitmietern erwirkter Räumungstitel.
6. Das Wegschaffen von Gegenständen nach § 885 Abs. 2 und 3 ZPO, die früher im (Mit-)Eigentum des Erblassers gestanden haben, stellt keine Vollstreckung in den Nachlass dar.
BGH, Beschl. v. 30.4.2020 – I ZB 61/19
1 I. Der Fall zusammengefasst
Räumungsvollstreckung: Einer von zwei Schuldnern verstirbt
Die Gläubiger betreiben die Räumungsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil, mit dem der nachfolgend verstorbene Schuldner und die Schuldnerin als Gesamtschuldner zur Räumung eines Reihenhauses verurteilt worden sind. Die von den Gläubigern mit der Räumung beauftragte Gerichtsvollzieherin (GV) hat nach dem Tod des Schuldners die weitere Vollstreckung abgelehnt. Die Gläubiger haben gegen diese Entscheidung erfolglos Erinnerung eingelegt und noch während des laufenden Erinnerungsverfahrens den Vollstreckungsauftrag gegen den Schuldner – nicht aber die Schuldnerin – zurückgenommen. Die weitergehende sofortige Beschwerde blieb erfolglos. Die Gläubigerin verfolgt ihr Begehren mit der Rechtsbeschwerde weiter. Dabei streiten die Parteien auch über verfahrensrechtliche Fragen, die hier nicht vertieft werden sollen.
2 II. Aus der Entscheidung
Gehörsverletzung des Beschwerdegerichtes als Ausgangspunkt
Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an den Einzelrichter des Beschwerdegerichts. Der im Streitfall gegebene Gehörsverstoß ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Einzelrichterin ohne die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. dazu BVerfG NJW 2018, 1077 Rn 16; BGH, Beschl. v. 19.8.2010 – VII ZB 2/09, NJW-RR 2011, 424 Rn 17).
Nimmt ein Beschwerdegericht fristgerechtes Vorbringen überhaupt nicht zur Kenntnis, kann eine andere Entscheidung jedenfalls dann nicht ausgeschlossen werden, wenn ein Schriftsatz nicht allein auf den bisherigen Vortrag verweist, sondern sich argumentativ mit der Vorentscheidung oder einem gerichtlichen Hinweis auseinandersetzt und darauf angelegt ist, das Gericht von seinem Rechtsstandpunkt zu überzeugen (vgl. BGH NJW-RR 2011, 424 Rn 17; BGH NJW-RR 2020, 248 Rn 6).
BGH erteilt Hinweise
Für das danach fortzuführende Beschwerdeverfahren weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
Die GV durfte die Durchführung der gegen die Schuldnerin beantragten Vollstreckungsmaßnahme gemäß §§ 750, 885 ZPO nicht ohne Überprüfung der tatsächlichen Besitzverhältnisse bezüglich des zu räumenden Hauses ablehnen.
Auf die tatsächlichen Gewahrsamsverhältnisse kommt es an
Die Gläubiger müssen eine Rechtsnachfolgeklausel gemäß § 750 Abs. 2, § 727 ZPO nur dann erwirken, wenn die Rechtsnachfolger des Schuldners tatsächlichen (Mit-)Besitz an den Räumen haben. Dieser tatsächliche (Mit-)Besitz muss sich dabei im Hinblick auf das formalisierte Zwangsvollstreckungsverfahren klar und eindeutig aus den Gesamtumständen ergeben (vgl. BGH NJW 2008, 1959 Rn 16 [Lebensgefährte, volljährige Tochter und deren Ehemann]; LG Saarbrücken DGVZ 2018, 183 Rn 12 [volljähriger Sohn]). Wenn im Streitfall allein die Schuldnerin tatsächlichen Besitz an der Wohnung hat, genügt es, wenn die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung in Bezug auf sie vorliegen.
§ 563a BGB ist nicht heranzuziehen
Die Erwirkung einer Rechtsnachfolgeklausel ist nicht bereits deshalb entbehrlich, weil der Rechtsgedanke des § 563a Abs. 1 BGB herangezogen werden könnte. Diese Bestimmung setzt sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Zweck, für überlebende Mitmieter einen vorrangigen Bestandsschutz zu schaffen, voraus, dass zum Zeitpunkt des Todes eines Mieters ein gemeinsames Mietverhältnis im Sinne des § 563 BGB bestanden hat (vgl. BeckOGK-BGB/Wendtland, Stand 1.1.2020, § 563a Rn 3 in Verbindung mit § 563 Rn 27; Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 14. Aufl., § 563 BGB Rn 11). Daran fehlte es im Streitfall, in dem das Mietverhältnis bereits vor dem Tod des Schuldners durch außerordentliche Kündigung beendet worden ist.
Vormaliges Besitzrecht ist unerheblich
Nicht tragfähig ist danach die Annahme, im Strei...