Leitsatz
Bei einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG unterliegt die Vorausabtretung des mit dem Eintritt des Versorgungsfalles fälligen Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht dem Verbot des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG.
BGH, Beschl. v. 20.5.2020 – IV ZR 124/19
1 I. Der Fall
Drittschuldnerklage
Der Kläger nimmt den beklagten Versicherer als Drittschuldner nach Pfändung und Überweisung von Ansprüchen des Schuldners aus Lebensversicherungen in Anspruch, die dieser zuvor der Streithelferin der Beklagten abgetreten hatte.
Der damalige Arbeitgeber des Schuldners schloss 1981 für diesen zum Zwecke der betrieblichen Altersversorgung zwei Lebensversicherungsverträge mit den Endziffern 729 und 737 bei der Beklagten ab und übertrug diese Verträge nach dessen Ausscheiden mit Wirkung zum 1.11.1991 auf den Schuldner. Dieser trat die Ansprüche aus beiden Verträgen am 16.12.1991 und 7.4.1998 – jeweils unter Anzeige an die Beklagte – zur Sicherheit an die Streithelferin ab.
Gläubiger vollstreckt in Alterssicherung
Am 6.6.2002 erwirkte der Kläger einen Vollstreckungsbescheid gegen den Schuldner, am 26.8.2002 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (PfÜB), der Beklagten zugestellt am 9.9.2002, der sich unter anderem auf sämtliche Ansprüche des Schuldners aus den Versicherungsverträgen mit den Endziffern 729 und 737 erstreckte. Nach dem Vertragsende zum 1.12.2017 zahlte die Beklagte die Ablaufleistungen der Verträge an die Streithelferin aus.
Streit um den Vorrang: Abtretung vs. Pfändung
Der Kläger hält die Abtretungen an die Streithelferin für unwirksam gemäß § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG, die Pfändungen hingegen für wirksam. Seine zuletzt auf Zahlung von 33.937,78 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter.
2 II. Aus der Entscheidung
BGH sieht den Vorteil bei der Abtretung
Die Revision hat keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das OLG hat zu Recht angenommen, dass der vom Kläger erwirkte PfÜB hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche auf Auszahlung der Ablaufleistungen ins Leere gegangen ist, weil der Schuldner diese Ansprüche zuvor wirksam an die Streithelferin abgetreten hatte.
Keine Abtretung der Ansparsumme, sehr wohl aber des Auszahlungsanspruchs
Bei einer zur betrieblichen Altersversorgung abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne von § 1b Abs. 2 S. 1 BetrAVG unterliegt die Abtretung des mit dem Eintritt des Versorgungsfalles fälligen Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung nicht dem Verbot des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG. Die vom Schuldner erklärte Abtretung der Ansprüche an die Streithelferin war, soweit sie sich nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auf die Ansprüche auf Auszahlung der jeweiligen Ablaufleistung bezog, nicht wegen Verstoßes gegen dieses Verbot nichtig (§ 134 BGB).
Nach § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG, der seit seinem Inkrafttreten insoweit im Wesentlichen unverändert gilt, darf der ausgeschiedene Arbeitnehmer die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe darf der Rückkaufswert aufgrund einer Kündigung des Versicherungsvertrags nicht in Anspruch genommen werden; vielmehr wird der Vertrag im Falle einer Kündigung in eine prämienfreie Versicherung umgewandelt (§ 2 Abs. 2 S. 5 BetrAVG).
Zweck: Schutz der Anwartschaft
Durch diese Bestimmungen soll im Rahmen des rechtlich Möglichen die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten bleiben, das heißt verhindert werden, dass der Arbeitnehmer die Anwartschaft liquidiert und für andere Zwecke verwendet (BGH VersR 2016, 974 Rn 28; BGH VersR 2011, 371 Rn 6). Mit diesen Verfügungsbeschränkungen korrespondiert ein Pfändungsverbot, § 851 Abs. 1 ZPO (BGH VersR 2014, 487 Rn 2).
Bei Vollrecht und Auszahlung ist Schutzzweck entfallen
Allerdings gilt die Vorschrift des § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG nicht mehr, wenn die Versorgungsanwartschaft zum Vollrecht erstarkt ist (BGH NJW-RR 2009, 211 Rn 9; Rolfs, in: Blomeyer/Otto/Rolfs, BetrAVG, 7. Aufl., § 2 Rn 279; Krois, EWiR 2011, 169, 170; ebenso zu § 97 EStG Dietzel, NZI 2018, 164; Fischer, in: Kirchhof, EstG, 19. Aufl., § 97 Rn 2). Die Norm enthält keine gesetzgeberische Entscheidung darüber, in welchem Umfang der Arbeitnehmer bei Eintritt des Versorgungsfalles tatsächlich in den Genuss der Alterssicherung kommen soll. Ist der Versorgungsfall eingetreten, richtet sich der Schutz des Schuldners nicht mehr nach § 2 Abs. 2 S. 4 BetrAVG, sondern nach den allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften (BGH VersR 2019, 571 Rn 23 m.w.N.). Demgemäß ist der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Auszahlung der Versicherungssumme aus einer Direktversicherung vor Eintritt des Versicherungsfalles als zukünftige Forderung pfändbar (BGH VersR 2015, 498 Rn 8; BGH VersR 2011, 371 Rn 8 ff.). Daraus folgt zugleich, dass § 2 Abs. 2 ...