Gläubiger verkennen das Vollstreckungsverbot
Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum gilt das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO auch für solche Gläubiger, deren Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (BAGE 132, 125; LG Leipzig NZI 2006, 603; LG Saarbrücken, 18.4.2012 – 5 T 203/12; AG Bremen NZI 2008, 55; FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 294 Rn 11; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 2. Aufl., § 294 Rn 2; HmbKomm/InsO-Streck, 4. Aufl., § 294 Rn 3; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 294 Rn 3; Wenzel, in: Kübler/Prütting/Bork, InsO 2008, § 294 Rn 2 c; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 294 Rn 5).
BGH positioniert sich jetzt eindeutig
Der BGH hat die Frage, ob § 294 Abs. 1 InsO auch die Vollstreckung von Gläubigern ausgenommener Forderungen in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO während des Laufs der Wohlverhaltensphase ausschließt, bislang nicht ausdrücklich entschieden. Zweck des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO ist es, den Neuerwerb des Schuldners, der nicht gemäß § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten wird oder an diesen gemäß § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger zu entziehen (BGH NJW 2005, 2988; BGH InVo 2006, 442). Dies gilt auch im Hinblick auf Gläubiger, deren Forderung aus einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, die sie im Verfahren mit diesem Privileg angemeldet haben. Zwar soll ihre Forderung von der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden, sondern nach Erteilung der Restschuldbefreiung weiter durchsetzbar sein. Dieses Privileg bezieht sich aber nur auf die insolvenzrechtliche Nachhaftung, ohne dem Gläubiger schon innerhalb des Insolvenz- oder Restschuldbefreiungsverfahrens eine Sonderstellung zuzuweisen (BGH InVo 2008, 16).
Gläubiger muss sich in Geduld üben
Nach diesen Grundsätzen ist es ausgeschlossen, dass der Gläubiger einer ausgenommenen Forderung bereits während des Laufs der Wohlverhaltensphase in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstreckt. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 302 Nr. 1 InsO geht nicht dahin, im Fall des Fehlens konkurrierender Neugläubiger nicht dem Schuldner, sondern dem Gläubiger der ausgenommenen Forderung die im Rahmen des § 850f Abs. 2 ZPO pfändbaren Einkünfte zuzuweisen. Der Gesetzgeber hat sich, ohne damit Art. 14 Abs. 1 GG zu verletzen, für die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger während des Laufs der Wohlverhaltensphase entschieden. Dies schließt an den Zuschnitt des Vollstreckungsverbots während der Dauer des Verfahrens nach § 89 Abs. 2 InsO an, dessen Satz 2 keine Deliktsgläubiger privilegiert, die an dem Verfahren teilnehmen. Art. 14 Abs. 1 GG wird insofern Rechnung getragen, als Gläubiger ausgenommener Forderungen bei entsprechender Anmeldung und Feststellung ihres Anspruchs nach Erteilung der Restschuldbefreiung die Möglichkeit haben, weiter in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken.
Vorherige Pfändung ruht während Insolvenz und Wohlverhaltensphase
Die Entscheidung des BGH zur Unwirksamkeit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung der fortlaufenden Bezüge des Schuldners für die Dauer des Insolvenzverfahrens und eines sich daran möglicherweise anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens (BGH FoVo 2011, 131) hat hierauf keinen Einfluss. Die zeitlich beschränkte Unwirksamkeit der Pfändung bezieht sich nach der genannten Entscheidung gerade auch auf die Dauer der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens. Der Pfändungsschutz besteht also auch in dieser Phase weiter, so dass die Entscheidung im Einklang mit dem Ausschluss von Vollstreckungen von Insolvenzgläubigern während dieses Zeitraums steht. Das Pfändungspfandrecht soll erst dann wieder aufleben, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Restschuldbefreiung versagt wird. Zuvor kommt die Geltendmachung von Rechten aus dem Pfändungspfandrecht nicht in Betracht.
Zinsklage kann allerdings zulässig sein
Auch das Urteil des BGH v. 18.11.2010 (Rpfleger 2011, 232), wonach die Klage eines Gläubigers auf Zinszahlung seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dessen Aufhebung während der Treuhandphase ungeachtet einer möglichen späteren Restschuldbefreiung des Schuldners zulässig ist, führt zu keiner anderen Wertung. Hieraus ergibt sich nicht, dass die Vollstreckung eines Insolvenzgläubigers wegen einer ausgenommenen Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 InsO während der Dauer der Wohlverhaltensphase zulässig ist. Nach dieser Entscheidung steht das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO vielmehr nur der Zulässigkeit der Klageerhebung, die eine spätere Zwangsvollstreckung vorbereitet, nicht entgegen (LG Göttingen ZInsO 2005, 1113). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers schon in der Treuhandphase zulässig ist.