Leitsatz
1. Ein Postfach ist jedenfalls dann eine ähnliche Vorrichtung im Sinne von § 180 S. 1 ZPO, wenn eine Wohnanschrift desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt oder nicht vorhanden ist.
2. Ein Zustellungsvertreter darf nicht bestellt werden, wenn dem Vollstreckungsgericht die Postfachadresse desjenigen, dem zugestellt werden soll, bekannt ist. Dennoch erfolgte Zustellungen an den Zustellungsvertreter sind unwirksam.
BGH, 14.6.2012 – V ZB 182/11
I. Der Fall
Zwangsversteigerung mit Zustellungsvertreterin
Der Gläubiger betreibt die Zwangsversteigerung in das Grundstück des Schuldners. Nachdem bekannt geworden war, dass der Schuldner im Verlauf des Verfahrens seine Wohnung hatte räumen müssen und ohne festen Wohnsitz war, bestellte das Vollstreckungsgericht eine Zustellungsvertreterin, obwohl sich ein Vermerk in den Akten befand, aus dem sich ergab, dass der Schuldner ein Postfach unterhält. Der Beschluss über die Anberaumung eines Versteigerungstermins wurde der Zustellungsvertreterin zugestellt. Der Zuschlagsbeschluss wurde ihr ebenfalls ausgehändigt.
Schuldner erhebt Zuschlagsbeschwerde
Der Schuldner, der erst später durch ein Gespräch beim Finanzamt von dem Versteigerungstermin erfahren haben will, hat unter Hinweis darauf, dass sein Postfach im Gericht bekannt gewesen sei, Zuschlagsbeschwerde erhoben. Das LG hat der Beschwerde stattgegeben und den Zuschlagsbeschluss aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Meistbietende die Wiederherstellung dieses Beschlusses.
II. Die Entscheidung
Beschwerdefrist beginnt mit Zustellung
Die zweiwöchige Frist für eine Beschwerde gegen die Erteilung des Zuschlags beginnt für Beteiligte, die bei der Verkündung der Entscheidung nicht anwesend waren, mit der Zustellung des Zuschlagsbeschlusses (§ 98 S. 2, § 88 Satz 1 ZVG i.V.m. § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO). Sie wäre für den Schuldner bei Einlegung der Beschwerde daher nur abgelaufen gewesen, wenn die erfolgte Zustellung des Beschlusses an die Zustellungsvertreterin wirksam oder wenn der Zuschlagsbeschluss dem Schuldner zwei Wochen vor der Einlegung tatsächlich zugegangen wäre (§ 189 ZPO). Beides ist nicht der Fall.
Zustellung an Zustellungsvertreterin unwirksam
Die Zustellung des Zuschlagsbeschlusses an die Zustellungsvertreterin ist unwirksam. Nach § 6 Abs. 1 ZVG hat das Vollstreckungsgericht einen Zustellungsvertreter zu bestellen, wenn ihm der Aufenthalt desjenigen, welchem zugestellt werden soll, nicht bekannt ist oder die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung aus sonstigen Gründen (§ 185 ZPO) gegeben sind. So verhielt es sich bereits im Zeitpunkt der Bestellung der Zustellungsvertreterin nicht, weil dem Vollstreckungsgericht – wenn auch einer anderen Abteilung in einem Parallelverfahren – bekannt war, dass der Schuldner ein Postfach unterhielt. Im Übrigen hätte das Vollstreckungsgericht, selbst wenn die Bestellung der Zustellungsvertreterin wirksam gewesen wäre, gemäß § 7 Abs. 1 ZVG von weiteren Zustellungen an diese absehen müssen, nachdem die Akten einen Vermerk über das Postfach des Schuldners enthielten.
Kenntnis von Postfach schließt Bestellung der Zustellungsvertreterin aus
Die Kenntnis von einem Postfach desjenigen, dem zuzustellen ist, steht nach Sinn und Zweck des § 6 ZVG der Kenntnis von dessen Aufenthalt gleich. Durch die Bestellung eines Zustellungsvertreters sollen Verzögerungen vermieden werden, die infolge einer sonst notwendig werdenden öffentlichen Zustellung von Beschlüssen des Vollstreckungsgerichts entstünden (vgl. Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 6 Rn 1; Steiner/Hagemann, ZVG, 9. Aufl., § 6 Rn 1 u. 6). Der Vorschrift des § 6 ZVG liegt also die Vorstellung zugrunde, dass nur eine öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) möglich ist, wenn der Aufenthalt desjenigen, dem zugestellt werden soll, unbekannt ist.
Keine ZU an Postfach vor der ZPO-Reform 2002
Dies entsprach den vor dem Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes (BGBl I 2001, S. 1206) geltenden Zustellungsvorschriften der ZPO, die Zustellungen an eine Postfachadresse nicht erlaubten. Durch das bloße Einlegen von Schriftstücken in einen Briefkasten oder eine ähnliche Einrichtung konnte eine Zustellung nicht bewirkt werden (vgl. § 181 ZPO a.F.). Eine Ersatzzustellung durch Niederlegung (§ 182 ZPO a.F.) war nur möglich, wenn der Empfänger an dem Bestimmungsort eine Wohnung hatte (vgl. BGH NJW-RR 1994, 564; BayObLGSt 1962, 222). Auch die erleichterte Zustellung nach § 4 ZVG durch Aufgabe eines Einschreibens zur Post war bei einem Postfach unmöglich, da diese nur durch ein – die Aushändigung an den Empfänger oder eine andere berechtigte Person erforderndes – sog. "Übergabe-Einschreiben", nicht aber durch ein sog. "Einwurf-Einschreiben" erfolgen kann (Stöber, ZVG, 19. Aufl., § 4 Anm. 2.3; vgl. auch BVerwGE 112, 78).
Alte Vorstellungen sind aber überholt
Die Annahme, einer Person, deren Aufenthalt unbekannt sei, könne ein Schriftstück nur im Wege der öffentlichen Zustellung zugestellt werden, ist durch die genannte Reform der Vorschriften über...