Leitsatz
1. § 149 Abs. 1 ZVG setzt die Wohnnutzung des zwangsverwalteten Grundstücks bei Beschlagnahme kraft Eigentums und unmittelbaren Eigenbesitzes durch den Verfahrensschuldner und seine mitwohnenden Familienangehörigen voraus.
2. Der Wohnungsschutz für den Verfahrensschuldner und mitwohnende Angehörige entfällt, wenn das Grundstück vor der Beschlagnahme vollständig an einen Dritten zur alleinigen Nutzung vermietet und übergeben worden ist. Das gilt auch, wenn der Verfahrensschuldner es von dem Dritten zurückmietet.
3. Der Verfahrensschuldner und Grundstückseigentümer kann sich auf den Wohnungsschutz nicht berufen, wenn er den unmittelbaren Eigenbesitz erst nach Beschlagnahme des zwangsverwalteten Grundstücks erhält.
BGH, 21.4.2016 – IX ZR 72/14
1 I. Der Fall
Gläubiger hat Forderung aus Grundschuld
Die Beklagten zu 2 und 3 sind jeweils zur Hälfte Eigentümer eines bewohnten Hauses. Aufgrund einer vollstreckbaren notariellen Urkunde aus dem Jahr 1993 ergibt sich ein dinglicher Anspruch der Bank gegen die Beklagten zu 2 und 3 aus einer im Grundbuch eingetragenen Grundschuld in Höhe des Grundschuldkapitalbetrags von über 500.000 EUR nebst Zinsen und Kosten.
Schuldner hat Räume vermietet
Die Beklagten zu 2 und 3 vermieteten die in ihrem Haus gelegene Einliegerwohnung an ihren nicht mitverklagten erwachsenen Sohn; diese Wohnung ist nicht streitgegenständlich. Am 20.12.2006 vermieteten sie der vormals am Prozess beteiligten Beklagten zu 1 – einer GmbH, deren GF der Beklagte zu 2 ist – das Hausgrundstück mit Ausnahme der Einliegerwohnung unbefristet und mit dem Recht, in den vermieteten Räumen eine Betriebsstätte zu betreiben sowie Teile der Räume an Dritte zu Wohnzwecken zu vermieten.
Hinweis
Schuldner versuchen regelmäßig, die Immobiliarzwangsvollstreckung für potentielle Bieter unattraktiv zu machen und so scheitern zu lassen. Sie konzentrieren sich dabei in der Regel allein auf die Zwangsversteigerung. Eine Drittvermietung soll aufzeigen, dass eine Eigennutzung kaum in Betracht kommt oder nur mit erheblichen Aufwendungen und Zeitverlusten zu realisieren ist. Der Gläubiger muss in dieser Situation prüfen, ob die primäre Zwangsverwaltung und nachgeschaltete Zwangsversteigerung für ihn günstiger ist.
Zwangsverwaltung wird angeordnet
Das Vollstreckungsgericht hat die Zwangsverwaltung des Hausgrundstücks angeordnet und den Kläger zum Zwangsverwalter bestellt. Dieser nahm das Grundstück in Besitz und kündigte den Mietvertrag mit der Beklagten zu 1 ordentlich.
Aber die Beklagten ziehen trotz Kündigung nicht aus
Die Beklagten zogen nicht aus. Die Beklagte zu 1 berief sich auf den Mietvertrag und die Beklagten zu 2 bis 4 verwiesen auf die Vereinbarungen mit der Beklagten zu 1 sowie auf § 149 Abs. 1 ZVG. Das AG hat nur der Räumungsklage gegen den Beklagten zu 1 stattgegeben. Der Kläger begehrt auch einen Räumungstitel gegen die übrigen Beklagten.
2 II. Aus der Entscheidung/Praxistipp
Voraussetzung des Räumungsschutzes ist sehr eng
Das LG hat die gegen die Beklagten zu 2 und 3 auf § 150 Abs. 2 ZVG und gegen den Beklagten zu 4 auf § 152 Abs. 1 ZVG, § 985 BGB gestützte Besitzverschaffungsklage des Zwangsverwalters abgewiesen, ohne die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 149 Abs. 1 ZVG für die Verfahrensschuldner, die Beklagten zu 2 und 3, und den mit ihnen zusammenwohnenden erwachsenen Sohn, den Beklagten zu 4, ausreichend geprüft zu haben. Nach dieser Regelung sind dem Verfahrensschuldner,
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wenn er zur Zeit der Beschlagnahme auf dem Grundstück wohnt, |
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die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume zu belassen. |
Es handelt sich um einen Fall der Unterhaltsgewährung aus Billigkeitsgründen.
Es fehlt schon am eigenen Wohnen
Das LG hat nicht festgestellt, dass die Beklagten zu 2 und 3 als Eigentümer und Verfahrensschuldner zur Zeit der Beschlagnahme unmittelbaren Eigenbesitz an dem zwangsverwalteten Grundstück hatten (§ 872 BGB). § 149 Abs. 1 ZVG setzt nach seinem Tatbestand die Wohnnutzung des zwangsverwalteten Grundstücks kraft Eigentums und unmittelbaren Eigenbesitzes durch den Verfahrensschuldner und seine mitwohnenden Familienangehörigen voraus (BGH NZI 2013, 766). Geben die Eigentümer den Hausstand auf, entfällt der Wohnungsschutz aus § 149 Abs. 1 ZVG für sie und für mitwohnende Angehörige.
Mit der Vermietung endet jeder Schutz
Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn der Eigentümer und Verfahrensschuldner das Haus vollständig an einen Dritten zur alleinigen Nutzung vermietet und übergibt, denn dann hat er den unmittelbaren Eigenbesitz an dem Grundstück verloren. Daran ändert sich nichts, wenn er das Haus oder Teile von ihm wiederum vom Dritten zu Wohnzwecken zurückmietet: Er besitzt die angemieteten Räumlichkeiten in diesem Fall unmittelbar nicht aufgrund seines Eigentums als Eigen-, sondern aufgrund des (Unter-)Mietvertrages als Fremdbesitzer.
Organbesitz reicht auch nicht
Ebenso wenig kommt § 149 Abs. 1 ZVG zur Anwendung, wenn ein Verfahrensschuldner als Geschäftsführer einer juristischen Person innerhalb seines Aufgabenbereichs die tatsächliche Sachherrschaft über das durch ihn an di...