a) Der überlebende Ehegatte
Rz. 120
Der überlebende Ehegatte hat nach Art. 914–1 C.C. ein Noterbrecht in Höhe von einem Viertel des Nachlasses, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind. Pflichtteilsberechtigt ist ferner nur der nicht rechtskräftig geschiedene Ehegatte. Eine Trennung von Tisch und Bett oder die bloße Rechtshängigkeit eines Scheidungsverfahrens beseitigen das Noterbrecht des Ehegatten noch nicht. Nicht pflichtteilsberechtigt sind nichteheliche Lebensgefährten oder gleichgeschlechtliche Lebenspartner, auch wenn sie mit dem Verstorbenen in einer registrierten Partnerschaft (PACS) gelebt haben.
b) Abkömmlinge
Rz. 121
Vorbehaltserben sind gem. Art. 913 C.C. im Übrigen die Abkömmlinge des Erblassers. Dabei ist ohne Bedeutung, ob es sich um eheliche oder nichteheliche Abkömmlinge handelt. Gemäß Art. 913–1 C.C. gelten innerhalb der Gruppe der Deszendenten die allgemeinen Prinzipien des gesetzlichen Erbrechts, insbesondere der Grundsatz der Repräsentation nach Stämmen bei Vorversterben eines Kindes des Erblassers. Die Höhe der réserve richtet sich nach der Zahl der Kinder: Bei Vorhandensein eines Kindes kann der Erblasser über die Hälfte, bei zwei Kindern über ein Drittel und bei drei und mehr Kindern über ein Viertel seines Nachlasses frei verfügen. Nach Art. 913 Abs. 2 C.C. wird ein ausschlagendes Kind bei der Zahl der Abkömmlinge nur mitgezählt, wenn eine Repräsentation stattfindet, also bei Vorhandensein von Abkömmlingen des Ausschlagenden (Art. 754 C.C.), oder wenn der ausschlagende Abkömmling nach Art. 845 C.C. ausgleichspflichtige Vorausempfänge erhalten hat.
c) Aszendenten
Rz. 122
Aszendenten waren nach Art. 914 Abs. 1 C.C. a.F. bis zur letzten Erbrechtsreform noterbberechtigt, wenn der Erblasser keine Abkömmlinge hinterließ und sie bei gesetzlicher Erbfolge zur Erbschaft berufen gewesen wären. Mit der am 1.1.2007 in Kraft getretenen Erbrechtsreform wurde die Noterbberechtigung der Vorfahren aufgehoben.
Rz. 123
Neu eingeführt wurde stattdessen zugunsten der Eltern ein Rückfallrecht (droit de retour légal) nach Art. 738–2 C.C.: Sind keine Nachkommen des Verstorbenen vorhanden, so können die Eltern (bei Vorversterben eines Elternteils der Längerlebende, nicht aber andere Vorfahren) dem Verstorbenen gemachte Geschenke von den Erben in Natur zurückfordern. Ist eine Rückgabe in Natur z.B. wegen Veräußerung nicht möglich, so kann eine Geldentschädigung verlangt werden, Obergrenze ist jedoch der Aktivnachlass. Das Rückforderungsrecht ist maximal auf die gesetzliche Erbquote nach Art. 738 C.C. beschränkt und wird auf diese angerechnet. Umstritten ist, ob ein Verzicht auf dieses Rückfallrecht vor dem Ableben des Beschenkten möglich ist.
d) Besonderheiten bei Vorhandensein eines überlebenden Ehegatten
Rz. 124
Besonderheiten ergeben sich gem. Art. 1094 ff. C.C. bezüglich der Höhe der quotité disponible, wenn der überlebende Ehegatte mit anderen Noterben, also Abkömmlingen, zusammentrifft. Diese besonderen Quoten gelten nur für Verfügungen zugunsten des Ehegatten, nicht aber für Verfügungen zugunsten Dritter. Es ist auch nicht möglich, dass der Erblasser zum einen zugunsten eines Dritten die allgemeine Quote der Art. 913 ff. C.C. und zum anderen zusätzlich zugunsten des Ehegatten den besonderen Freiteil nach Art. 1094 ff. C.C. ausschöpft.
Rz. 125
Bei Vorhandensein eines oder mehrerer Kinder des Erblassers kann der Erblasser gem. Art. 1094–1 C.C. zugunsten des überlebenden Ehegatten wahlweise entweder über den allgemeinen Freiteil gem. Art. 913 C.C. oder über ein Viertel zu Eigentum und drei Viertel zu Nießbrauch oder über den Gesamtnachlass zu Nießbrauch verfügen. Zulässig und in der Praxis häufig ist es, das Wahlrecht dem überlebenden Ehegatten selbst zu überlassen.