I. Allgemeines
Rz. 47
Das französische Erbrecht war im Laufe der Zeit zahlreichen Reformen unterworfen. Die Gesetzesänderungen sollten vor allem die traditionell schwache Stellung des überlebenden Ehegatten stärken, der ursprünglich überhaupt nicht erbberechtigt war, da nach der Konzeption des Code Napoléon das Vermögen innerhalb der Familie bewahrt werden sollte. Weitere wichtige Änderungen, z.B. durch das Gesetz Nr. 72–3 vom 3.1.1972, dienten der Herstellung der Gleichberechtigung nichtehelicher Kinder. Zu erwähnen ist ferner die erstmalige gesetzliche Regelung der Erbengemeinschaft durch das Gesetz Nr. 76–1286 vom 31.12.1976. Durch das Gesetz Nr. 2001–1135 vom 3.12.2001 ist in Teilen die lange diskutierte "große" Erbrechtsreform zum 1.7.2002 in Kraft getreten, die vor allem der Stärkung der Rechte des überlebenden Ehegatten und der Beseitigung der Ungleichbehandlung von Ehebruchskindern diente. Der zweite Teil der großen Erbrechtsreform erfolgte mit Gesetz Nr. 2006–728 vom 23.6.2006, das am 1.1.2007 in Kraft getreten ist. Mit diesem Gesetz dürfte die Entwicklung des französischen Erbrechts für einige Zeit weitgehend abgeschlossen sein. Die letzten Änderungen brachten vor allem grundlegende materielle Neuerungen im Pflichtteilsrecht und im Recht der Vor- und Nacherbschaft sowie zahlreiche detaillierte Änderungen im Recht der Erbschaftsannahme und -ausschlagung und der Erbauseinandersetzung. Mit der Justizreform durch Gesetz vom 23.3.2019 wurden die vormals getrennten Gerichte Tribunal d’instance (vergleichbar etwa dem deutschen Amtsgericht) und Tribunal de grande instance (vergleichbar etwa dem deutschen Landgericht), das vor der Reform für die meisten Erbschaftssachen zuständig war, nach zweimaliger Verschiebung wegen der Corona-Pandemie mit Wirkung ab 1.1.2021 zum Tribunal judiciaire zusammengefasst.
II. Gesetzliches Erbrecht
1. Grundsatz der Universalsukzession
a) Allgemeines
Rz. 48
Nach dem in Art. 724 Abs. 1 C.C. zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Universalsukzession umfasst der Nachlass im Prinzip das gesamte Vermögen und alle Ansprüche und Rechte des Verstorbenen ohne Rücksicht auf Art oder Herkunft der Gegenstände. Umgekehrt haben gesetzliche Erben, Universal- und Erbteilsvermächtnisnehmer alle Schulden und Lasten der Erbschaft zu tragen.
Rz. 49
Vererblich sind grundsätzlich alle vermögenswerten Positionen. Besonderheiten gelten für Familienerinnerungsstücke. Diese werden nach dem Tod nach gerichtlichem Ermessen dem geeignetsten Angehörigen des Verstorbenen zugewiesen. Unvererblich sind einige mit der Persönlichkeit des Verstorbenen eng verbundenen Rechte, die sog. droits patrimoniaux à caractère personnel, wie z.B. Leibrenten (Art. 1980 C.C.), Unterhaltsansprüche, Ruhe- und Invaliditätsrenten, der Nießbrauch (Art. 617 C.C.) oder dingliche Wohn- und Nutzungsrechte (Art. 625, 617 C.C.).
Rz. 50
Ebenso erlöschen Verpflichtungen des Erblassers höchstpersönlicher Art, wie z.B. aus Auftrag (Art. 2003 C.C.), und grundsätzlich Unterhaltspflichten. Besonderheiten bestehen bezüglich der Rechte des Mieters aus einer Wohnraummiete, die entgegen der Vorschrift des Art. 1742 C.C. nicht den Erben, sondern gem. Art. 1751 C.C. und Art. 14 des Gesetzes Nr. 89–462 vom 6.7.1989 Personen, die einen gemeinsamen Hausstand mit dem Verstorbenen hatten, insbesondere dem Ehegatten oder Partner eines PACS, ggf. aber auch einem nichtehelichen Lebensgefährten, zugewiesen werden.
Rz. 51
Nichtvermögensrechte (droits extrapatrimoniaux) gehören nicht zum Nachlass. Sie können jedoch in einigen Fällen noch nach dem Tod des Erblassers ausgeübt werden. Hierzu zählen vor allem bestimmte Statusklagen wie die Ehenichtigkeitsklage (Art. 187 C.C.) oder die Vaterschaftsanfechtung (Art. 322 C.C.).