Rz. 206
Mit der Frage des Schutzes der nächsten Angehörigen hängt eng die Frage nach der materiellrechtlichen Einordnung der eben erläuterten Vereinbarungen zusammen. Noterbrechte können nur durch unentgeltliche, nicht aber durch entgeltliche Rechtsgeschäfte verletzt werden. Dies wird unter dem Stichwort der avantages matrimoniaux diskutiert. Allgemein werden hierunter alle in Geld messbaren Begünstigungen, die ein Ehegatte durch die bloße Vereinbarung eines bestimmten Güterstands auf Kosten des anderen Ehegatten erlangt, verstanden. Grundsätzlich handelt es sich bei avantages matrimoniaux nicht um unentgeltliche Vereinbarungen. Art. 1527 Abs. 1 C.C. bestimmt für Güterstände mit Gesamtgut ausdrücklich, dass die Vorteile, die ein Ehegatte aus Vereinbarungen der vertraglichen Gütergemeinschaft zieht, nicht als Schenkungen zu qualifizieren sind. Daraus ergibt sich, dass durch avantages matrimoniaux grundsätzlich die disponible Quote nicht überschritten und damit das Noterbrecht der Angehörigen nicht verletzt sein kann.
Rz. 207
In Ausnahmefällen werden avantages matrimoniaux vom Code Civil jedoch wie unentgeltliche Rechtsgeschäfte behandelt. Aus der Anwendbarkeit von Art. 265 C.C. ergibt sich, dass avantages matrimoniaux für den Fall einer Scheidung den donations gleichgestellt sind. Zudem bestimmt Art. 1527 Abs. 2 C.C., dass bei Vorhandensein von nicht gemeinschaftlichen Kindern, egal ob ehelich oder nichtehelich, die Vorschrift des Art. 1094–1 C.C., der die disponible Quote unter Ehegatten betrifft, zu beachten ist. Daraus ergibt sich, dass in diesem Fall, wie bei Schenkungen, eine Herabsetzung der avantages matrimoniaux möglich ist.
Rz. 208
Die in Art. 1527 Abs. 2 C.C. genannten einseitigen Abkömmlinge können nach dem Tod ihres Elternteils die Herabsetzung der avantages matrimoniaux verlangen, wenn sie die Erbschaft als Noterben angenommen haben und erbwürdig sind. Von der Erhöhung der Nachlassmasse aufgrund einer réduction auf Initiative dieser Personen profitieren auch – soweit vorhanden – gemeinsame Kinder. Letztere sind deshalb selbst berechtigt, die action en réduction zu erheben, wenn die einseitigen Abkömmlinge des Verstorbenen untätig bleiben. Seit 1.1.2007 können die geschützten einseitigen Abkömmlinge nach Art. 1527 Abs. 3 C.C. auf die Möglichkeit, Herabsetzung der avantages matrimoniaux zu verlangen, vor dem Tod des längerlebenden Ehegatten verzichten. Hierfür gelten die Vorschriften der Art. 929 ff. C.C. zum Verzicht auf das Noterbrecht entsprechend (siehe Rdn 129).
Rz. 209
Zur Feststellung, ob die disponible Quote überschritten ist, ist zunächst zu ermitteln, wie viel den Noterben bei einer Abwicklung des Nachlasses bei Berücksichtigung der güterrechtlichen Vereinbarungen zustehen würde. Anschließend ist festzustellen, wie hoch der Erbteil des Betreffenden bei Nichtbeachtung der avantages matrimoniaux, also bei einer Auseinandersetzung im gesetzlichen Güterstand, wäre. Liegt dieser zweite Betrag über dem zuerst Ermittelten, so ist darin der Vorteil des Überlebenden zu sehen, der bei Überschreitung der disponiblen Quote herabsetzbar ist. Die réduction der avantages matrimoniaux erfolgt wie bei Schenkungen erst nach Vermächtnissen.