Rz. 15
Die Wirksamkeit der Vereinbarung von avantages matrimoniaux (siehe hierzu Rdn 189 ff.) richtet sich nach bisher h.M. in Frankreich nach dem Güterrechtsstatut und nicht nach dem Erbstatut. Dies korrespondiert mit der in Art. 1527 Abs. 1 C.C. für das materielle Recht getroffenen Einordnung, dass avantages matrimoniaux keine donations, sondern Regelungen über die Auseinandersetzung des ehelichen Gesamtgutes darstellen. Nach französischem Internationalen Privatrecht gelten damit für die Ermittlung der Wirksamkeit der Vereinbarung von avantages matrimoniaux die allgemein für Eheverträge geltenden Regeln. Eine Sonderanknüpfung gilt aber für die Frage, nach welchem Recht zu ermitteln ist, ob Noterben bzw. Pflichtteilsberechtigte eine Verletzung ihrer Rechte bei der Vereinbarung von avantages matrimoniaux geltend machen können. Art. 1527 Abs. 2 C.C. ist erbrechtlich zu qualifizieren und immer dann anzuwenden, wenn als Erbstatut französisches Recht zur Anwendung kommt. Es ist wohl zu erwarten, dass die französische Rechtslehre auch unter der EuErbVO und der EuGüVO und der dann vorzunehmenden autonomen Qualifikation an der güterrechtlichen Einordnung von avantages matrimoniaux festhalten wird.
Rz. 16
Die in Deutschland vorherrschende Auffassung ging dagegen aus deutscher Sicht bei einer Qualifikation nach der lex fori bisher von einer erbrechtlichen Qualifikation von avantages matrimoniaux aus, sofern sie – anders als die clause de prélèvement moyennant indemnité – eine Abweichung vom Grundsatz der wertmäßig hälftigen Teilung des Gesamtgutes darstellen. In diesem Fall werden mit den betreffenden Vereinbarungen erbrechtliche Regelungsziele verfolgt. Nach deutschem materiellem Recht ist bei Güterständen mit Gesamtgut eine Zuwendung aus dem Gesamtgut an den längerlebenden Ehegatten nur auf erbrechtlichem Weg möglich.
Rz. 17
Richtigerweise ist m.E. unter Geltung der EuErbVO und der EuGüVO zur Abgrenzung zwischen Güterrechtsstatut und Erbstatut bei güterrechtlichen Anwachsungsklauseln danach zu unterscheiden, ob die in Frage stehende Abweichung von der Halbteilung in der betreffenden Rechtsordnung gesetzlich angeordnet ist oder den Ehegatten als Gestaltungsinstrument zur Verfügung gestellt wird. Ist Ersteres der Fall, so ist eine güterrechtliche Qualifikation vorzunehmen, da es die freie Entscheidung des jeweiligen Gesetzgebers ist, wie er den Schutz eines überlebenden Ehegatten gesetzlich sicherstellen will. Bedarf es dagegen wie z.B. bei einer stipulation de parts inégales bzw. einer clause d‘attribution de la totalité de la communauté des französischen Rechts zusätzlich zur Verwirklichung der Abweichung von der Halbteilung noch einer ausdrücklichen Vereinbarung durch die Ehegatten, so ist dies in der Regel erbrechtlich zu qualifizieren und Art. 25 EuErbVO anzuwenden.
Rz. 18
Für avantages matrimoniaux gilt damit m.E. Folgendes: Eine clause de prélèvement moyennant indemnité stellt keine Verfügung von Todes wegen, sondern eine güterrechtlich zu qualifizierende Vereinbarung dar, da durch sie nicht vom Halbteilungsgrundsatz abgewichen wird. Eine clause de préciput, eine stipulation de parts inégals und eine clause d‘attribution de la totalité de la communauté dagegen sind anders als nach bisherigem französischem IPR nicht güterrechtlich, sondern erbrechtlich und zwar als Erbverträge zu qualifizieren.
Rz. 19
Sollte es bis zu einer gerichtlichen Klärung dieser Frage unter Geltung der EuErbVO und der EuGüVO dabei bleiben, dass die französischen Rechtsanwender eine güterrechtliche Qualifikation vornehmen wollen, während aus deutscher Sicht eine erbrechtliche Qualifikation angenommen wird, stellt sich das Folgeproblem, dass in einem Europäischen Nachlasszeugnis ggf. unterschiedliche Erbquoten ausgewiesen werden, je nachdem, in welchem Land es zur Ausstellung des Zeugnisses aufgrund der Zuständigkeitsvorschriften der EuErbVO kommt. Hier zeigt sich eine der potentiellen Schwächen des Europäischen Nachlasszeugnisses. Für die hier vertretene Auffassung einer erbrechtlichen Qualifikation von avantages matrimoniaux spricht nicht zuletzt auch die zu § 1371 Abs. 1 BGB ergangene Mahnkopf-Entscheidung des EuGH vom 1.3.2018 (dazu auch Rdn 14), in der aus Gründen der Effektivität des Europäischen Nachlasszeugnisses eine erhebliche Ausweitung des Anwendungsbereichs des Erbstatuts zu Lasten des Güterrechtsstatuts vorgenommen wurde.