Silja Maul, Larissa Furtwengler
1. Alarmierungsverfahren (procédure d’alerte)
Rz. 167
Um Krisen einer Gesellschaft möglichst frühzeitig zu erkennen und ggf. abzuwenden, haben ein ggf. von der Gesellschaft bestellter Wirtschaftsprüfer nach Art. L 234–1 C.com., ein ggf. vorhandener Betriebsrat nach Art. L 2323–78 C.trav. und der Präsident des zuständigen Handelsgerichts nach Art. L 611–2 Nr. I., Abs. 2 C.com. das Recht, ein sog. Alarmierungsverfahren (procédure d’alerte) einzuleiten. Dadurch sollen die Geschäftsführer auf die Anzeichen der Krise aufmerksam gemacht und veranlasst werden, die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zu analysieren und geeignete Maßnahmen zur Abwendung in Gang zu setzen. Die Einleitung dieses Verfahrens ist nach Art. L 234–4 C.com. nicht zulässig, wenn die Geschäftsführung selbst bereits ein Schlichtungs- oder Sicherungsverfahren eingeleitet hat.
2. Schlichtungsverfahren (procédure de conciliation)
Rz. 168
Die Geschäftsführung kann nach Art. L 611–4, Art. L 611–6 C.com. beim Präsidenten des zuständigen Handelsgerichts unter Offenlegung der wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Lage sowie des Finanzbedarfs der Gesellschaft die Eröffnung eines Schlichtungsverfahrens beantragen (procédure de conciliation). Dies gilt nicht, wenn die Gesellschaft bereits vor mehr als 45 Tagen ihre Zahlungen eingestellt hat; in diesem Fall ist ein Insolvenzverfahren durchzuführen (siehe Rdn 174 ff.).
Rz. 169
Mit Eröffnung des Schlichtungsverfahrens ernennt der Präsident des Handelsgerichts nach Art. L 611–6 Abs. 2 C.com. für die – um einen Monat verlängerbare – Dauer von bis zu vier Monaten einen Schlichter. Aufgabe des Schlichters ist es nach Art. L 611–7 Abs. 1 C.com., die Gesellschaft durch Abschluss einer Vereinbarung mit den wichtigsten Gesellschaftsgläubigern zu sanieren. Kommt eine Einigung mit den Gläubigern zustande, wird diese durch den Präsidenten des Handelsgerichts entweder auf Antrag der Parteien nach Art. L 611–8 Nr. I. C.com. förmlich festgestellt oder, bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen, auf Antrag der Gesellschaft nach Art. L 611–8 Nr. II. C.com. durch Urteil für rechtskräftig erklärt. Kommt eine Einigung nicht zustande, teilt der Schlichter dies dem Präsidenten des Handelsgerichts mit, der den Schlichter abberuft und das Schlichtungsverfahren nach Art. L 611–7 Abs. 6 C.com. beendet.
3. Sicherungsverfahren (procédure de sauvegarde)
Rz. 170
Für Gesellschaften in der Krise, die ihre Zahlungen noch nicht eingestellt haben, besteht weiter die Möglichkeit, nach Art. L 620–1 Abs. 1, Art. L 621–2 C.com. beim Handelsgericht die Durchführung eines Sicherungsverfahrens (procédure de sauvegarde) zu beantragen. Dieses Verfahren soll nach Art. L 620–1 Abs. 1 C.com. eine Umstrukturierung der Gesellschaft ermöglichen, um die Fortführung der Gesellschaft, die Erhaltung von Arbeitsplätzen und die Begleichung von Verbindlichkeiten sicherzustellen.
Rz. 171
Mit Eröffnung des Verfahrens stellt das Gericht nach Art. L 621–3 Abs. 1 C.com. die Gesellschaft für die – um weitere sechs Monate verlängerbare – Dauer von bis zu sechs Monaten unter Beobachtung. Ferner werden nach Art. L 621–4 Abs. 1 und 3 C.com. ein juge-commissaire, ein mandataire judiciaire und ein administrateur judiciaire bestellt. Die Beschäftigten werden nach Art. L 621–4 Abs. 2 C.com. aufgefordert, einen gemeinsamen Vertreter zu benennen. Aus dem Kreis der Gläubiger werden gem. Art. L 621–10 Abs. 1, Art. L 612–11 C.com. bis zu fünf Personen, die den juge-commissaire und den mandataire judiciaire unterstützen sollen, ausgewählt. Nach Art. L 621–9 Abs. 1, Art. L 622–1 Nr. II. C.com. soll der juge-commissaire die zügige Abwicklung des Verfahrens und die Wahrung der Interessen aller Beteiligten sicherstellen, der administrateur judiciaire überwacht und unterstützt die Geschäftsführer im operativen Bereich. Der mandataire judiciaire vertritt gem. Art. L 622–20 Abs. 1 C.com. die Interessen der Gläubiger.
Rz. 172
Mit Eröffnung des Verfahrens wird der Gesellschaft verboten, Verbindlichkeiten zu begleichen. Der juge-commissaire kann jedoch nach Art. L 622–7 Nr. II. C.com. Ausnahmen zulassen. Verbotene Zahlungen können nach Art. L 622–7 Nr. III. C.com. innerhalb von drei Jahren angefochten werden. Klagen gegen die Gesellschaft auf Zahlung sind während der Dauer des Sicherungsverfahrens nicht zulässig, bereits anhängige Verfahren werden ausgesetzt. Auch die Durchsetzung von Ansprüchen im Wege der Einzelzwangsvollstreckung ist während des Verfahrens nach Art. L 622–21 Nr. I. und II. C.com. ausgeschlossen.
Rz. 173
Besteht die begründete Aussicht auf Überwindung der Krise, beschließt das Gericht nach Art. L 626–1 Abs. 2, Art. L 626–10 C.com. einen Sicherungsplan, in dem die erforderlichen Maßnahmen, etwa die Einstellung von defizitären Unternehmensteilen, dargestellt werden. Bei fehlender Erfolgsaussicht wird das Sicherungsverfahren eingestellt und in das Liquidationsverfahren übergeleitet (siehe Rdn 176).