Leitsatz

Bedient sich der Prozessbevollmächtigte einer Partei bei der Bearbeitung eines Rechtsstreits eines nichtanwaltlichen, voll juristisch ausgebildeten freien Mitarbeiters, so muss sich die Partei dessen Verschulden wie eigenes zurechnen lassen, wenn ihm der Rechtsstreit vom Prozessbevollmächtigten zur selbständigen Bearbeitung übergeben worden ist.

 

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt Wiedereinsetzung wegen Fristversäumung. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter, Rechtsanwalt B, öffne die in seiner Praxis eingehende Post ausnahmslos selbst und versehe eingehende Urteile und Empfangsbekenntnisse mit dem Eingangsstempel. B trage auch die Vorfristen und Fristen in den Fristenkalender ein und notiere die Eintragung auf den Schriftstücken, deren Zustellung den Fristablauf jeweils in Gang setze. Anders verfahre B aber in den Fällen, die Assessor F bearbeite. F sei seit Sommer 2001 als freier Mitarbeiter bei B beschäftigt, bearbeite die ihm übertragenen Sachen innerhalb der Kanzlei selbständig, trete aber vor Gericht nicht auf und unterzeichne auch keine Schriftsätze oder Schreiben. In den F übertragenen Sachen überlasse B dem F auch die Arbeiten, die er in "eigenen" Sachen selbst durchführe. Im vorliegenden Fall habe B das Urteil des Berufungsgerichts, das er ebenso wie das Empfangsbekenntnis mit einem Stempel versehen habe, dem F mit der Anweisung zukommen lassen, die Frist zu berechnen und persönlich in den Fristenkalender einzutragen. Diese Anweisung habe F am 11.2.2004 erreicht. F habe sich bei der Berechnung aber um eine Woche vertan. Der BGH lehnte den Wiedereinsetzungsantrag ab.

 

Entscheidung

Wiedereinsetzung wird nur bei unverschuldeter Säumnis gewährt[1]. Hieran fehlt es aber wegen des fehlerhaften Verhaltens von F, dessen Handlungen dem Kläger zugerechnet werden[2]. Bedient sich der Rechtsbeistand einer Partei bei der Bearbeitung eines Mandats eines angestellten Rechtsanwalts, so muss sich die Partei dessen Verschulden zurechnen lassen, wenn ihm der Rechtsstreit vom Prozessbevollmächtigten zur selbständigen Bearbeitung übergeben worden ist. Denn in diesem Fall gilt der angestellte Rechtsanwalt als Vertreter des Prozessbevollmächtigten und damit der Partei selbst. Bestand seine Aufgabe dagegen nur aus vorbereitenden und unselbständigen Tätigkeiten, kann sein Verschulden dem Rechtsbeistand bzw. der Partei ebenso wenig zugerechnet werden wie das von Büropersonal[3]. Für einen nichtanwaltlichen, voll juristisch ausgebildeten freien Mitarbeiter des Bevollmächtigten gilt nichts anderes. Der Grundsatz, dass das Verschulden eines Vertreters der Partei ohne Entlastungsmöglichkeit wie eigenes zuzurechnen ist, würde ausgehöhlt, wenn es der Prozessbevollmächtigte in der Hand hätte, die selbständige Bearbeitung der Sache einem anderen zu übertragen und damit sich und seine Partei weitgehend aus der Verantwortung für Versäumnisse zu ziehen[4].

Im vorliegenden Fall hatte F die ihm übertragene Sache innerhalb der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten selbständig bearbeitet. Ihm sind auch die Arbeiten überlassen worden, die der Prozessbevollmächtigte sonst selbst durchführt, wie das Notieren von Fristen. Bei den ihm übertragenen Aufgaben handelt es sich also um einen wesentlichen Teil des anwaltlichen Pflichtenkreises. F ist deshalb als Unterbevollmächtigter und damit als Bevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO anzusehen[5]. Da Entschuldigungsgründe für sein Fehlverhalten nicht erkennbar sind, war das Wiedereinsetzungsgesuch abzulehnen.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Beschluss vom 9.6.2004, VIII ZR 86/04

[1] Vgl. § 233 ZPO
[3] Vgl. BGH-Urteil vom 1.4.1992, XII ZB 21/92, NJW-RR 1992, S. 1019
[4] Vgl. BGH-Beschluss vom 9.7.1973, II Z B 4/73, VersR 1973, S. 1070
[5] Vgl. BGH-Beschluss vom 19.12.1983, II ZB 6/83, VersR 1984, S. 239

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