Leitsatz
Wird ein Schriftstück erst am 31. Dezember nachmittags in den Briefkasten eines Bürobetriebs geworfen, in dem branchenüblich am Silvesternachmittag - auch wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt - nicht mehr gearbeitet wird, so geht es erst am nächsten Werktag zu.
Fakten:
Der Mieter mietete eine Lagerhalle mit befristetem Mietvertrag. Ihm war das Recht eingeräumt, spätestens sechs Monate vor Ablauf der vereinbarten Mietzeit die Verlängerung des Mietverhältnisses um fünf Jahre zu verlangen. Der Mieter übte sein Optionsrecht auf Verlängerung des Mietvertrags schriftlich aus und ließ das Schreiben mittels eines Boten am Mittwoch, dem 31. Dezember, um 15.50 Uhr in den Briefkasten der Verwaltungsgesellschaft werfen. Auf dem Breifbogen der Verwaltungsgesellschaft waren die Geschäftszeiten u.a. mit Montag bis Donnerstag von 14.00 bis 17.00 Uhr angegeben. Die Verwaltungsgesellschaft kündigte den Mietvertrag fristlos wegen Nichteinhaltung der vertraglich vereinbarten Frist der Optionsausübung. Der BGH gibt dem Vermieter recht. Die Erklärung ist nicht rechtzeitig zugegangen. Eine Willenserkärung unter Abwesenden ist nach § 130 BGB dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören auch die von ihm zur Entgegennahme von Erklärungen bereitgestellten Einrichtungen wie Briefkästen. Vollendet ist der Zugang aber erst, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist. Danach konnte der Mieter nicht erwarten, dass eine Hausverwaltung am Silvestertag, auch wenn es sich um einen Mittwoch gehandelt hatte, gegen 15.50 Uhr noch zur Entgegennahme von Erklärungen bereite Personen anwesend sind. Dabei kann dahinstehen, ob im Geschäftsverkehr ein Brief, der während der Geschäftszeiten in den Briefkasten geworfen wird, in jedem Fall zugegangen ist, weil die Post AG und andere Dienstleister Briefe inzwischen nicht nur vormittags zustellen, oder ob eine entsprechende Verkehrsanschauung nicht besteht. Der Zugang einer Willenserklärung erfolgt jedenfalls nicht mehr am selben Tag, wenn er nach Geschäftsschluss eingeworfen wird. In einem Bürobetrieb wie einer Verwaltungsgesellschaft wird an Silvesternachmittag nicht gearbeitet. Auch die Angabe der Geschäftszeiten auf dem Briefbogen bedeutet nicht, dass in der Firma entgegen der allgemeinen Übung am Silvesternachmittag gearbeitet werde.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 05.12.2007, XII ZR 148/05
Fazit:
Unter Privatpersonen und im Geschäftsverkehr muss derjenige, der eine schriftliche Erklärung abgeben will, darauf achten, dass der Empfänger von der Erklärung am Tag des Zugangs üblicherweise noch Kenntnis von der Erklärung nehmen kann. Die Einschätzung, was üblich ist, liegt im Risikobereich des Erklärenden. Das gilt übrigens auch bei Erklärungen gegenüber dem Mieter: Lässt der Vermieter dem Mieter einen Brief einwerfen, nachdem die Post beim Mieter üblicherweise eingeht, gilt der Brief nicht mehr als an diesem Tag zugegangen. Etwas anderes gilt natürlich im Schriftverkehr mit den Behörden: Dort laufen die Fristen starr um 24 Uhr ab. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass z.B. eine Klageerhebung per Fax um kurz vor 24 Uhr nicht mehr rechtzeitig erfolgt, wenn es nicht vor 24 Uhr bei Gericht eingegangen ist, weil das Gerichtsfaxgerät kurz vor 24 Uhr überlastet ist.