Kommentar
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs vom 14. März 1996 ging es um die Auslegung von Artikel 21 Nr. 1 Buchst. c und Artikel 22 Abs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie bezüglich der Anerkennung einer Gutschrift als Rechnung. Der Bundesfinanzhof fragte, ob eine Gutschrift als Rechnung betrachtet werden kann und ob ein in der Gutschrift ausgewiesener höherer Steuerbetrag, als er nach den Umsätzen geschuldet wurde, vom Gutschriftempfänger abgeführt werden muß.
Der Kläger versteuerte im Streitjahr seine im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze aufgrund der entsprechenden Option gemäß § 24 Abs. 4 UStG 1980 nicht nach Durchschnittsätzen ( § 24 Abs. 1 UStG 1980), sondern nach den allgemeinen Vorschriften. Über seine Lieferungen rechneten die Leistungsempfänger gegenüber dem Kläger mit Gutschriften gemäß § 14 Abs. 5 UStG 1980 ab. Den Leistungsempfängern war nicht bekannt, daß der Kläger auf die Durchschnittsatzbesteuerung verzichtet hatte. Sie wiesen deshalb in den Gutschriften Umsatzsteuerbeträge in Höhe von 13 % ( § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UStG 1980) gesondert aus und nicht – wie es der Besteuerung des Klägers nach den allgemeinen Vorschriften entsprochen hätte – in Höhe des ermäßigten Steuersatzes in Höhe von 7 %. Der Kläger widersprach diesem Steuerausweis nicht.
Der EuGH beschäftigt sich in seiner Entscheidung mit zwei Fragen:
- Kann eine vom Leistungsempfänger ausgestellte Gutschrift als Rechnung des Leistungserbringers betrachtet werden?
- Wenn eine Gutschrift als Rechnung betrachtet werden kann, muß dann der Leistungserbringer wie der Rechnungsaussteller behandelt werden, mit der Folge, daß er eine überhöhte Mehrwertsteuer auch schuldet?
Zwar weist der EuGH darauf hin, daß die 6. EG-Richtlinie im Normalfall davon ausgeht, daß der Leistungserbringer eine Rechnung ausstellt. Für den EuGH spricht jedoch nichts dagegen, daß dieses Dokument auch vom Leistungsempfänger ausgestellt werden kann. Entscheidend für den EuGH ist, daß dem Leistungserbringer die Gutschrift zuzurechnen ist. Der Gerichtshof hebt hier auch die praktische Bedeutung der Gutschrift hervor. In vielen Fällen stelle nur sie das geeignete Mittel dar, über Leistungen abzurechnen, da häufig nur der Leistungsempfänger in der Lage sei, die Übereinstimmung der Leistungen mit den vertraglichen Vereinbarungen festzustellen.
Voraussetzung der Anerkennung einer Gutschrift als Rechnung ist für den EuGH daher, daß sie die für Rechnungen erforderlichen Angaben enthält, daß sich der Leistungserbringer und der Leistungsempfänger über die Abrechnung mittels Gutschrift einig sind und daß der Leistungserbringer Gelegenheit hat, der Gutschrift zu widersprechen.
Aus diesem Ansatz folgt für den EuGH notwendigerweise, daß der Leistungserbringer eine in der Gutschrift überhöht ausgewiesene Mehrwertsteuer schuldet. Als Begründung hierfür hebt der EuGH auf die deutsche Rechtslage ab, daß der Leistungsempfänger einen Vorsteuerabzug in Höhe der in der Gutschrift ausgewiesenen Mehrwertsteuer auch dann habe, wenn der Leistungserbringer die zu hoch ausgewiesene Steuer nicht schulde. Dieses sei systemwidrig. Im Ergebnis entspricht diese Auffassung der EuGH-Entscheidung vom 13.12.1989 in der Rechtssache C-342/87 (Genius Holding B.V.). Dort hatte der Gerichtshof entschieden, das Recht auf Vorsteuerabzug erstrecke sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung ausgewiesen ist. Mit der jetzigen Entscheidung will der EuGH aber nicht das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers einschränken, sondern die Kongruenz zwischen Steuerschuld und Vorsteuerabzug über die Steuerschuldnerschaft des Gutschriftempfängers sicherstellen. Vom systematischen Ansatz her widerspricht also der EuGH seinem Urteil vom 13.12.1989, C-342/87. Dieses Urteil hat der deutsche Gesetzgeber bisher nicht umgesetzt, was sich im Lichte der jetzigen EuGH-Entscheidung offenbar als richtige Maßnahme herausgestellt hat.
Die höhere Steuer wird ausschließlich nach Artikel 21 Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie geschuldet. Auch dies liegt im Ergebnis auf der Linie der EuGH-Entscheidung vom 13.12.1989 in der Rechtssache C-342/87. Der EuGH hatte dort unter anderem ausgeführt, das Vorsteuerabzugsrecht sei für eine Steuer ausgeschlossen, die in keinem Zusammenhang mit einem bestimmten Umsatz steht, und zwar entweder weil sie höher ist als die gesetzlich geschuldete Steuer oder weil der betreffende Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt. Unter dieser Voraussetzung mußte der EuGH nun zum Ergebnis kommen, ein Leistungserbringer, der einer in einer Gutschrift zu hoch ausgewiesenen Mehrwertsteuer nicht widerspricht, ist in Bezug auf die gesamte Leistung nicht der Erbringer einer steuerpflichtigen Leistung. Insoweit konnte der Kläger keine steuerpflichtige Leistung im Sinne des Artikels 21 Abs. 1 Buchst. a bewirken und die Steuer auch nicht nach dieser Vorschrift schulden. Die Steuerschuld ergibt sich vielmehr allein aus Artikel 21...