Ralph Gübner, Detlef Burhoff
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
In der Praxis haben die Messung der Geschwindigkeit mittels eines Fahrtenschreibers, die Messung durch Schätzung und die Messung durch Vorausfahren eine gewisse Bedeutung. |
2. |
Grds. können auch Fahrtenschreiber bzw. ihre Schaublätter zu Geschwindigkeitsmessungen benutzt werden. |
3. |
Auch die Geschwindigkeitsmessung durch Schätzung wird als grds. möglich angesehen, ist aber weder zeitgemäß noch regelmäßig plausibilisierbar. Sie ist, wenn überhaupt, nur mit erheblichen in-dubio Annahmen geeignet, eine Verurteilung zu tragen. Die Anforderungen an ein entsprechendes Urteil sind hoch. |
4. |
Die Geschwindigkeitsmessung durch Vorausfahren wird ebenfalls als grds. möglich und zulässig angesehen. Die an ein Urteil mit Schuldspruch zu stellenden Anforderungen sind indes ebenfalls erheblich. |
5. |
Erhebliche Neuerungen in diesem Bereich sind allenfalls aufgrund der Digitalisierung der Fahrtenschreiber sowie der bei Gericht geführten Akten zu erwarten. |
Rdn 2260
Literaturhinweise:
Krumm, Geschwindigkeitsmessung und Abstandsfeststellung durch Nach- oder Vorausfahren ohne weiteres technisches Gerät, NZV 2004, 377
ders., Prozessuale Probleme in Bußgeldsachen mit dem Schaublatt zur Geschwindigkeitsfeststellung, VRR 2006, 328
ders., Geschwindigkeitsfeststellung in Bußgeldverfahren mit dem digitalen EG-Kontrollgerät, SVR 2007, 198
Langer, Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr und ihre Kontrolle durch Fahrtschreiber und Kontrollgeräte, DAR 2002, 97
Schal, Der digitale Tachograf, VRR 2008, 259
Zeising, Die Verwertung von Diagrammscheiben aus Fahrtschreibern zum Nachweis von Geschwindigkeitsverstößen, NZV 1994, 383
s. auch die Hinw. bei → Geschwindigkeitsüberschreitung, Allgemeines, Rdn 1892 und bei → Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, Standardisiertes Messverfahren, Rdn 2180.
Rdn 2261
1. Über die Messverfahren Laser-/Radarmessung, Messung mit PPS/ProViDa und Messung durch Nachfahren hinaus (→ Geschwindigkeitsüberschreitung, Messverfahren, Nachfahren, rechtliches u.a., Rdn 2026; → Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, PPS/Provida, Rdn 2217; → Geschwindigkeitsüberschreitung, Urteil, standardisierte Messverfahren, Rdn 2273) haben in der Praxis noch die Messung der Geschwindigkeit mittels eines Fahrtenschreibers (dazu Rdn 2262), die Messung durch Schätzung (dazu Rdn 2269) und die Messung durch Vorausfahren (dazu Rdn 2272) eine gewisse Bedeutung. Die Anforderungen an das Urteil sollen hier dargestellt werden.
Rdn 2262
2.a) Grds. können auch Fahrtenschreiber bzw. ihre Schaublätter zu Geschwindigkeitsmessungen benutzt werden (vgl. OLG Hamm DAR 2004, 42; OLG Jena DAR 2005, 44 = VRS 107, 476; Krumm VRR 2006, 328; → Geschwindigkeitsüberschreitung, Messverfahren, Auswertung eines Fahrtenschreibers, Rdn 1941). Ein Beweisverwertungsverbot besteht insoweit nicht (Langer DAR 2002, 97, 101). Allerdings können allgemeine Geschwindigkeitskontrollen nur durchgeführt werden, wenn eine Einbaupflicht besteht, ansonsten ist eine Kontrolle nur bei einem konkreten Verdacht erlaubt (OLG Hamm VRS 82, 235).
Rdn 2263
b) Bei der Geschwindigkeitsmessung mittels eines Fahrtenschreibers handelt es sich nicht um ein standardisiertes Messverfahren i.S.d. Rechtsprechung des BGH (BGHSt 39, 291; 43, 277; → Geschwindigkeitsüberschreitung, Messverfahren, Auswertung eines Fahrtenschreibers, Rdn 1941). Deshalb muss die Messung im Urteil beschrieben werden. Dargelegt werden muss insbesondere auch, wie das Tatgericht an die tatsächlichen Feststellungen gelangt ist (OLG Bamberg, Beschl. v. 26.10.2007 – 2 Ss OWi 843/07; OLG Hamm, Beschl. v. 4.9.1998 – 3 Ss OWi 1032/98), nämlich ggf. durch eigene Auswertung des Schaublatts. Nicht ausreichend ist die unkritische Übernahme der polizeilichen Auswertung oder gar eine Verweisung auf diese Auswertung (OLG Hamm, a.a.O.; Krumm VRR 2006, 328, 329). Das gilt insbesondere, wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass teilweise Fahrtstrecken außerhalb des Geltungsbereichs des OWiG gelegen haben. Dann muss der Tatrichter zur Tatbegehung im Inland Feststellungen treffen. Hierfür reichen plausible Angaben des Betroffenen als konkrete und nachvollziehbare Anknüpfungstatsachen. Nachdem das klassische eher unübersichtliche Schaublatt mittlerweile weitestgehend digitalen Erfassungsmethoden und dementsprechend höher auflösbaren Auswertedokumenten gewichen ist, dürfte sich die Problematik entschärfen.
Rdn 2264
Der Betroffene muss aufgrund der Unschuldsvermutung nicht von sich aus Nachweise über die Fahrten vorlegen. Vielmehr ist es Aufgabe des Gerichts, im Rahmen der Beweisaufnahme nachvollziehbare und überprüfbare Feststellungen zur Tatbegehung im Inland zu treffen (OLG Hamm, a.a.O.). In Betracht kommt hier insbesondere ein Abgleich der von dem Betroffenen angegebenen Fahrtstrecke mit einer Auswertung des Schaublatts durch einen SV (Krumm VRR 2006, 328, 329) oder die Vernehmung des ggf. von dem Betroffenen benannten Unternehmers zur Frage von Auslandsfahrten zu den festgestellten Tatzeiten (OLG Hamm, a.a.O.). Zu den Umständen is...