Das Wichtigste in Kürze:

1. Die nachfolgenden Ausführungen betreffen Verfahren mit Vorwürfen der Geschwindigkeitsüberschreitung, die aus Messmethoden, die von der Rechtsprechung als sog. standardisierte Verfahren anerkannt worden sind, herrühren.
2. Dies sind mittlerweile überwiegend Laserstrahl- und Laserabtastverfahren (LIDAR). Die früher verbreiteten Radarmessgeräte werden flächendeckend durch die zuverlässigeren und leistungsfähigeren LIDAR-Systeme verdrängt.
3. Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung für den Bereich der Messung mittels eines Radar- bzw. Lasermessgerätes aufgestellten Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen waren bei Aufkommen der Messmethoden verhältnismäßig streng. Davon ist die obergerichtliche Rechtsprechung durch die Anerkennung Rechtsfigur der "standardisierten Messverfahrens" schon in den 1990er-Jahren abgerückt. Hier reicht die Angabe der Messmethode und des Toleranzwertes.
4. Mittlerweile ist eine Gegenbewegung zu beobachten, die versucht, dezidierte Anforderungen an das Begründen von einzelfallbezogenen Zweifeln bei Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens oder an der Einhaltung der Standardisierung zu stellen. Derartige Bestrebungen sind jedoch aufgrund Inkompatibilität mit der Unschuldsvermutung dogmatisch verfehlt und als Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit darüber hinaus verfassungswidrig.
5. Bei standardisierten Messverfahren muss es sich nicht um voll automatisierte, menschliche Handhabungsfehler praktisch ausschließende Verfahren handeln. Entscheidend ist vielmehr die rein formale Zulassung durch die PTB, wobei diese zunehmend lediglich ein Eingangsmerkmal darstellt, aber der Annahme eines standardisierten Verfahrens im Einzelfall kaum noch Grenzen setzt.
6. Das BVerfG hat die Rechtsfigur des standardisierten Messverfahrens als unbedenklich beurteilt, setzt sich aber aktuell mit den daraus resultierenden rechtsstaatlichen Problemen nicht auseinander. Der Beantwortung weitergehender Fragen, insbesondere der Frage des Umfangs einer Beweissicherung durch Datenspeicherung, hat es abgelehnt.
7. Der Tatrichter kann im Ergebnis seine Feststellungen zum Messergebnis allein auf seine Feststellungen zur Standardisierung des Messverfahrens und der dem Standard entsprechenden Anwendung im Einzelfall stützen. Der Verteidiger muss daher in der HV mit einem Beweisantrag tatsächliche Anhaltspunkte für Abweichungen vom Standard mit konkretem Bezug auf den Einzelfall geltend machen. Er befindet sich in einer Bringschuld gegenüber dem Gericht.
 

Rdn 2274

 

Literaturhinweise:

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