1 Leitsatz
Die Wohnungseigentümer haben keinen Anspruch auf Mitgebrauch des Gemeinschaftsvermögens (hier einer "Rezeption").
2 Normenkette
§§ 9a Abs. 3, 16 Abs. 1 Satz 3 WEG
3 Das Problem
Ein Teileigentum steht im Eigentum der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Ihr steht ein Sondernutzungsrecht an einem Raum zu. Wohnungseigentümer K will diesen Raum mitbenutzen. Fraglich ist, ob er hierauf einen Anspruch hat.
4 Die Entscheidung
Das LG verneint die Frage! Die "Rezeption" stehe der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu. Sie sei damit Gemeinschaftsvermögen, auf das § 16 Abs. 1 Satz 3 WEG nicht anwendbar sei. Die Wohnungseigentümer hätten keinen Anspruch auf einen Mitgebrauch.
Zum Gemeinschaftsvermögen zählten alle durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erworbenen Sachen und Rechte. Das Gemeinschaftsvermögen repräsentiere neben dem Sonder- und dem gemeinschaftlichen Eigentum, das im Eigentum der Wohnungseigentümer stehe, die 3. Vermögenssphäre des Wohnungseigentumsrechts. Ein Gegenstand könne stets nur einer dieser 3 Vermögenssphären zugeordnet werden. Ob er zum Sondereigentum, gemeinschaftlichen Eigentum oder Gemeinschaftsvermögen gehöre, sei eine rein sachenrechtliche Frage. Das Gemeinschaftsvermögen unterscheide sich grundlegend vom gemeinschaftlichen Eigentum. Die beiden Vermögensmassen müssten strikt voneinander getrennt betrachtet werden. Das Gemeinschaftsvermögen stehe im Eigentum der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Das gemeinschaftliche Eigentum stehe hingegen eigentumsrechtlich den Wohnungseigentümern als Teilhabern in einer Gemeinschaft nach Bruchteilen zu.
Ein Raum des Gebäudes oder eine Freifläche könne zum gemeinschaftlichen Eigentum oder zum Gemeinschaftsvermögen gehören. Erwerbe die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer selbst Grundbesitz (z. B. ein angrenzendes Grundstück als Parkfläche oder ein Wohnungseigentum), sei dieser wie jeder andere Gegenstand des Gemeinschaftsvermögens zu behandeln. Die Nutzung des Gemeinschaftsvermögens erfolge durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Dies ergebe sich bereits aus ihrer Stellung als Eigentümerin oder Rechteinhaberin, ohne dass es einer besonderen Regelung bedürfte. Der Gesetzgeber habe bewusst davon abgesehen, den Wohnungseigentümern insoweit § 16 Abs. 1 Satz 3 WEG entsprechende Nutzungsrechte einzuräumen. Am Gemeinschaftsvermögen sollten keine automatischen Individualrechte der einzelnen Wohnungseigentümer begründet werden, weil dies der "bloßen Hilfsfunktion" des Gemeinschaftsvermögens für die Verwaltung nicht gerecht würde und die wirtschaftliche Verwertung desselben erschweren könnte. Insoweit sei der "Zugriff" der Eigentümer auf das Gemeinschaftsvermögen schwächer ausgestaltet, was mit der fehlenden Rechtsinhaberschaft der Eigentümer erklärbar ist. Diese hätten eben nicht unmittelbare, sondern nur mittelbare, über die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft abgeleitete, Rechte am Gemeinschaftsvermögen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um den Gebrauch des Gemeinschaftsvermögens. Es wird gefragt, ob ein Wohnungseigentümer dieses von Gesetzes wegen mitgebrauchen darf.
Mitgebrauch
Den Mitgebrauch regelt § 16 Abs. 1 Satz 3 WEG. Danach ist jeder Wohnungseigentümer zum Mitgebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums nach Maßgabe des § 14 WEG berechtigt. Das Gemeinschaftsvermögen wird dort nicht erwähnt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 WEG regelt nur die Fruchtziehung).
Ein Wohnungseigentümer ist daher tatsächlich nicht befugt, einen Raum, der im Gemeinschaftsvermögen steht oder für den für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ein Sondernutzungsrecht eingeräumt und damit ein Teil des Gemeinschaftsvermögens ist, ohne Weiteres mitzugebrauchen. Allerdings sind Gebrauchsregelungen möglich – soweit es keine entgegenstehende Vereinbarung gibt – da § 9a Abs. 3 WEG explizit auf § 19 Abs. 1 WEG verweist. Erwirbt die Gemeinschaft z. B. ein angrenzendes Grundstück als Parkfläche, so kann durch Beschluss geregelt werden, welche Wohnungseigentümer welchen Stellplatz nutzen dürfen. Den Stellplatznutzern sollte allerdings bewusst sein, dass ihr Gebrauchsrecht durch eine neue Beschlussfassung – deren Ordnungsgemäßheit unterstellt – wieder aufgehoben werden könnte.
Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?
Die Verwaltung muss wissen, in welchen Bereichen ein Wohnungseigentümer oder Drittnutzer zu einem Mitgebrauch berechtigt ist. Denn nach §§ 18 Abs. 1, 27 Abs. 1 WEG ist es an der Verwaltung, einem Gebrauch, der sich als unrechtmäßig erweist, namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entgegenzutreten. Dazu ist der Wohnungseigentümer oder der Drittnutzer von der Verwaltung abzumahnen. Ferner ist den Wohnungseigentümern wenigstens darüber zu berichten, dass es einen Verstoß gegen ihre Gebrauchsregelungen gibt. Im Einzelfall muss die Verwaltung aber auch selbst nach § 27 WEG oder nach einer Vereinbarung selbst initiativ werden.
6 Entscheidung
LG München I, Beschluss v. 8.11.2022, 36 S 6500/22 WEG