1 Leitsatz
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer haftet jedenfalls seit dem 1.12.2020 für Pflichtverletzungen der Verwaltung.
2 Normenkette
§§ 9a Abs. 1 Satz 1, 26, 27 WEG
3 Das Problem
Im Jahr 2013 wird im Sondereigentum von Wohnungseigentümer K festgestellt, dass dieses mit echtem Hausschwamm befallen ist. Im Jahr 2015 beschließen die Wohnungseigentümer, den Hausschwamm entfernen zu lassen. In der Folgezeit streiten die Wohnungseigentümer um Einzelheiten der Erhaltungsmaßnahme. In einem Vorprozess werden die Wohnungseigentümer dann im August 2020 u. a. verurteilt, ein statisches Gutachten zur Tragfähigkeit der Decke nach den technischen Vorgaben für die Jahre 1984/1985 unter Berücksichtigung der Nutzung des Dachgeschosses zu Wohnzwecken einzuholen und die Deckenbalken entsprechend diesem Gutachten zu reparieren. Der Verwalter bleibt trotz der Verurteilung zunächst untätig.
Mit seiner im Jahr 2019 erhobenen Klage verlangt K vor diesem Hintergrund von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer B zuletzt den Ersatz von Mietausfallschäden für die Zeit von August 2015 bis Februar 2022, die Rückzahlung der von August 2015 bis November 2018 gezahlten Hausgelder und Sonderumlagen sowie die anteilige Erstattung der von August 2018 bis März 2019 entrichteten Grundsteuer. Insgesamt macht K einen Betrag i. H. v. 170.678,51 EUR geltend! Das AG gibt der Klage im Februar 2020 i. H. v. 62.953,52 EUR statt. Auf die Berufung hält das LG durch eine Einzelrichterin, der die Rechtssache am 30.6.2020 zur Entscheidung übertragen worden war, die Verurteilung i. H. v. 19.438,32 EUR aufrecht. K stehe nämlich erst für die Zeit ab dem 1.3.2021 ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Vorher fehle an einer Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Die Einzelrichterin meint ferner, B habe bis zum 30.11.2020 außerdem nicht für eine fehlerhafte Beschlussumsetzung gehaftet. Für diesen Zeitraum könne auch nicht das am 1.12.2020 in Kraft getretene WEG angewendet werden, da es sich um einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt handele. Gegen das Urteil wendet sich K mit der von dem LG wegen der Unklarheiten zum neuen WEG zugelassenen Revision.
4 Die Entscheidung
Mit Erfolg! Das angefochtene Urteil unterliege schon deswegen der Aufhebung, weil es unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots des gesetzlichen Richters ergangen sei. Die Einzelrichterin hätte wegen der WEG-Reform 2020 die Sache der Kammer zur Entscheidung über die Übernahme vorlegen müssen. Denn sie habe ausweislich der Entscheidungsgründe die grundsätzliche Bedeutung der Sache in der Anwendbarkeit des reformierten WEG gesehen. Das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz sei aber erst nach der Übertragung in Kraft getreten. Daher hätte die Kammer befasst werden müssen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es primär um Prozessrecht. Daneben geht es, und darum stellen wir den Fall dar, aber auch um die Haftung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für Pflichtverletzungen des Verwalters in eigenen Angelegenheiten. Zu diesen "eigenen Angelegenheiten" gehörte bis zur WEG-Reform die Pflicht, Beschlüsse durchzuführen. Diese Pflicht hatte der Verwalter im Fall verletzt, da er nach dem Urteil untätig blieb. Fraglich ist seit dem 1.12.2020, ob für diese Pflichtverletzung die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer haftet, da der Verwalter seitdem ihr Organ und sie nach § 18 Abs. 1 WEG verpflichtet ist, Beschlüsse durchzuführen.
Das LG lehnte dies zu Recht ab, wollte die Frage aber durch den BGH absichern lassen. Der BGH sieht aus formalen Gründen für eine Klärung keinen Grund. Der Streit, ob es für Alt-Pflichtverletzungen eine Haftung der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gibt, bleibt damit weiterhin ungeklärt. Wegen der Verjährung, die nach 3 Jahren eintritt, hat sich der Streit allerdings auch bald erledigt.
Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?
An der Pflicht, rechtskräftige Urteile unverzüglich umzusetzen, hat sich nichts geändert. Eine Verwaltung muss sich daher mit einem rechtskräftigen Urteil befassen und dieses unverzüglich, soweit möglich, namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer umsetzen.
6 Entscheidung
BGH, Urteil v. 17.3.2023, V ZR 109/22