Leitsatz
Art. 73b EGV (jetzt Art. 56 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach die Wertminderung von Anteilen durch Gewinnausschüttungen von einem Einfluss auf die Bemessungsgrundlage der Steuer eines gebietsansässigen Steuerpflichtigen ausgeschlossen wird, wenn dieser Anteile an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft von einem gebietsfremden Anteilseigner erworben hat, während im Anschluss an den Erwerb von einem gebietsansässigen Anteilseigner eine solche Wertminderung die Bemessungsgrundlage der Steuer des Erwerbers mindert.
Dies gilt in den Fällen, in denen eine solche Regelung nicht über das hinausgeht, was erforderlich ist, um die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und um rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die allein zu dem Zweck geschaffen wurden, ungerechtfertigt in den Genuss eines Steuervorteils zu kommen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob sich die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung auf das beschränkt, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Normenkette
§ 50c Abs. 1, 4 und 7 EStG 1990, § 4 Abs. 4, 5 und 6, § 13 Abs. 4 UmwStG 1995, Art. 52 EG, Art. 73b EGV
Sachverhalt
Zu beurteilen war das sog. Doppelumwandlungsmodell zur "Kreierung" steuerlichen Abschreibungspotenzials:
Schritt 1:
Die GmbH I hatte am 27.06.1995 von ihrer britischen Muttergesellschaft und einer weiteren britischen Konzerngesellschaft die Anteile an der deutschen GmbH II erworben. Die GmbH II wurde sodann rückwirkend zum 29.06.1995 und ohne Ausgabe neuer Anteile auf ihre alleinige Gesellschafterin – die GmbH I – verschmolzen. Dadurch ergab sich für die GmbH I aus der Differenz zwischen dem Bilanzansatz ihrer Anteile an der GmbH II und deren steuerlichen Eigenkapital ein Verschmelzungsverlust, der sich aber steuerlich nicht auswirkte (§ 12 Abs. 2 S. 1 UmwStG 1995).
Schritt 2:
Die GmbH I wurde zum 01.07.1995 formwechselnd in eine GmbH & Co. KG umgewandelt. Im Zeitpunkt der Umwandlung waren an dieser GmbH I zu 99 % die GmbH III und zu 1 % die GmbH IV, eine 100 %ige Tochtergesellschaft der GmbH III, beteiligt. Zwischen der GmbH III und der GmbH IV bestand ein Ergebnisabführungsvertrag. Die GmbH III hatte kurz zuvor ihren 95 %igen Anteilsbesitz an der GmbH I durch den Erwerb der Restanteile von ihrer britischen Muttergesellschaft erworben.
Die Umwandlung der GmbH I in die GmbH & Co. KG erfolgte zu Buchwerten. Die GmbH & Co. KG berechnete einen Übernahmeverlust (§ 4 Abs. 4 und 5 UmwStG 1995) unter Ansatz eines Sperrbetrags nach § 50c EStG von rd. 23 Mio. DM, der aus dem Erwerb des 5 %igen Anteils an der GmbH I von der britischen Muttergesellschaft resultierte. Mit diesem Übernahmeverlust stockte sie den Bilanzansatz eines auf sie übergegangenen Grundstücks auf (§ 4 Abs. 6 S. 1 UmwStG 1995) und aktivierte einen Marktwert, der unter Ansatz einer Absetzung für Abnutzung in den Folgejahren fortgeschrieben wurde.
Das FA vertrat die Auffassung, dass nicht nur der Erwerb der Anteile an der GmbH I von 5 % durch die GmbH III von der Muttergesellschaft einen die erworbenen Anteile belastenden Sperrbetrag nach § 50c EStG 1990 ausgelöst habe. Auch die Anteile an der GmbH II, die die GmbH & Co. KG von der Muttergesellschaft erworben hatte, seien mit einem Sperrbetrag belastet gewesen. Dieser zweite Sperrbetrag sei im Zug der Verschmelzung der GmbH II mit der GmbH I gem. § 13 Abs. 4 UmwStG 1995 auf die von der GmbH II gehaltenen Anteile an der GmbH I "übergesprungen". Der sich aus dem Formwechsel der GmbH I ergebende Übernahmeverlust reduziere sich daher entsprechend. Dieser Verlust sei ausschließlich als Aufstockungsbetrag für das Grundstück zu verwenden (§ 4 Abs. 6 S. 1 UmwStG 1995). Die Aktivierung eines Marktwerts und die jährlichen Absetzungen für Abnutzung hierauf entfielen somit.
Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg, soweit es um den Ansatz der Sperrbeträge ging (FG München, Urteil vom 10.02.2006, 8 K 5285/02, Haufe-Index 1497072, EFG 2006, 820).
Entscheidung
Der BFH hat aus den in den Praxis-Hinweisen beschriebenen Gründen den EuGH angerufen und diesen um Vorabentscheidung darüber ersucht, ob § 50c Abs. 1 EStG a.F. gegen die EG-vertraglich verbürgte Niederlassungsfreiheit verstößt.
Der EuGH prüft die Rechtssache allerdings unter dem Blickwinkel (nur) der Kapitalverkehrsfreiheit. Er sieht den Schutzbereich dieser Freiheit als verletzt, jedoch den Eingriff im Prinzip als gerechtfertigt an. Allerdings könne sich § 50c EStG a.F. in seiner Rechtswirkung über das Ziel hinausschießen und unverhältnismäßig sein. Überdies sei es erforderlich, dass sie Missbrauchsvermeidungsvorschrift die Möglichkeit eines Gegenbeweises im Einzelfall belasse.
Hinweis
Es geht im Urteilsfall der "äußeren Form" nach um "altes" und "ausgelaufenes" Recht, aber zugleich um spannende und hochaktuelle Äußerungen des EuGH:
1. Konkret gestritten wird um – außerbilanziell hinzuzurechnenden – sog. S...