Leitsatz
1. Die Art. 43 EG und 48 EG sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die eine gebietsfremde Muttergesellschaft mit einer Steuer auf Dividenden belasten, gebietsansässige Muttergesellschaften aber fast völlig davon befreien und dadurch eine diskriminierende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sind.
2. Die Art. 43 EG und 48 EG sind dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die allein für gebietsfremde Muttergesellschaften eine Quellensteuer auf von ihren gebietsansässigen Tochtergesellschaften ausgeschüttete Dividenden vorsehen, auch wenn ein Besteuerungsabkommen zwischen diesem Mitgliedstaat und einem anderen Mitgliedstaat diese Quellensteuer zulässt und die Anrechnung der nach den Rechtsvorschriften des erstgenannten Staats auferlegten Belastung auf die Steuerschuld in diesem anderen Staat erlaubt, entgegenstehen, wenn für eine Muttergesellschaft in diesem anderen Mitgliedstaat die in dem genannten Abkommen vorgesehene Anrechnung nicht möglich ist.
Normenkette
Art. 43, Art. 48 EG
Sachverhalt
Denkavit Internationaal hielt 50 % des Kapitals von Denkavit France und 99,9 % des Kapitals von Agro Finances, die ihrerseits 50 % des Kapitals von Denkavit France hielt.
In den Jahren 1987 bis 1989 schütteten Denkavit France und Agro Finances, die später miteinander verschmolzen wurden, an Denkavit Internationaal Dividenden aus.
Gem. Art. 119 bis Abs. 2 CGI i.V.m. Art. 10 Abs. 2 des DBA Frankreich-Niederlande wurden 5 % des Betrags dieser Dividenden als Quellensteuer abgeführt. Auf die Klage von Denkavit Internationaal auf die Rückerstattung des Quellensteuerbetrags erging ein Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d"État an den EuGH.
Entscheidung
Der EuGH entschied wie aus den Leitsätzen und den Praxis-Hinweisen ersichtlich.
Hinweis
1. Es ging in dem Urteilsfall um die französische Quellensteuer (Kapitalertragsteuer) von 25 % auf Dividenden, welche von einer in Frankreich ansässigen Gesellschaft an gebietsfremde Anteilseigner (hier der niederländischen Muttergesellschaft einer französischen Tochtergesellschaft) ausgeschüttet wurden; bei entsprechenden Ausschüttungen an Gebietsansässige wurde keine Quellensteuer erhoben. Außerdem bezog das französische Steuerrecht jene Dividenden nur zu 5 % in die Bemessungsgrundlage für gebietsansässige Anteilseigner ein.
Das einschlägige DBA Frankreich-Niederlande erlaubte sowohl den Quellensteuerabzug, wenn auch reduziert auf 5 %, als auch die Einbeziehung der Dividenden in die niederländische Bemessungsgrundlage. Die Niederlande gestattete zwar grundsätzlich die Anrechnung der französischen Steuer bis zur Höhe der auf die Dividenden entfallenden niederländischen Steuer. Tatsächlich wurden ausländische Dividendenzahlungen in den Niederlanden aber von der Ertragsteuer befreit.
2. Der französische Conseil État hatte dem EuGH dazu etliche Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.
a) Die Hauptfrage zielte dahin, ob die Quellenbesteuerung gemeinschaftsrechtswidrig sei, wenn sie sich an der Ansässigkeit der Muttergesellschaft orientiert.
Das hat der EuGH rundheraus bejaht. Der Gerichtshof sah in der konkreten Steuersituation eine Ungleichbehandlung, die vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit nicht hinzunehmen sei.
Darin könnte ein gewisser Widerspruch zu den Grundsätzen zu sehen sein, die der EuGH erst kürzlich in der Rechtssache "Scorpio" im Urteil vom 3.10.2006, Rs. C-290/04 (BFH-PR 2006, 490) zum Quellensteuerabzug aufgestellt hat: Die Methode des Quellensteuerabzugs wurde dort ausdrücklich als effektive Methode der Steuererhebung angesehen. Bei Licht betrachtet liegt ein solcher Widerspruch jedoch nicht vor. Denn in der Sache "Scorpio" ging es um ausländische Künstler, die in jedem Fall – auch als Gebietsansässige – der Ertragsteuer unterlegen hätten, wenn auch (nur) im Rahmen einer Veranlagung. Im vorliegenden Fall waren die Dividenden im reinen Inlandsfall hingegen (fast) völlig steuerbefreit.
b) Die vom vorlegenden Gericht formulierten weiteren Rechtsfragen zielten auf die Bedeutung des abgeschlossenen DBA und gingen dahin, ob die danach ermöglichte grundsätzliche Steueranrechnung den Gemeinschaftsrechtsverstoß des Quellensteuerabzugs nicht möglicherweise "neutralisieren" könne.
Auch das wird vom EuGH grundsätzlich bejaht. Allerdings gehe diese Anrechnungsmöglichkeit wegen der Steuerfreistellung der Dividenden in den Niederlanden ins Leere, sodass die Quellensteuer im Ergebnis denn doch definitiv werde.
Der EuGH nimmt also auch die niederländische Besteuerungslage ins Visier und damit eine staatenübergreifende Gesamtbeurteilung vor, um die Belastung des Steuerpflichtigen umfassend würdigen zu können. Das mag in wirtschaftlicher Hinsicht "stimmig" sein, hat allerdings die unschöne Konsequenz, dass die (fiskusfreundliche) Besteuerung in dem einen Mitgliedstaat in den anderen Staat "exportiert" wird: Die Europarechtswidrigkeit hier richtet sich danach, ob und wie dort besteuert wird. Das kann kaum überzeugen, gibt...