Für den europäischen Gesetzgeber waren mangelnde Transparenz von Entgeltsystemen, mangelnde Rechtssicherheit in Bezug auf den Begriff der gleichwertigen Arbeit und Verfahrenshindernisse für Diskriminierungsopfer die maßgeblichen Indikatoren für die Erstellung der Richtlinie (vgl. Erwägungsgrund 11). In den Evaluierungen der Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG wurde festgestellt, dass sich durch größere Transparenz geschlechtsspezifische Verzerrungen und Diskriminierungen in den Vergütungsstrukturen eines Unternehmens aufdecken ließen und so die Möglichkeit eröffnen würde, geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Rechts auf gleiches Entgelt zu ergreifen.
2.1 Begriff der gleichwertigen Arbeit (Art. 4)
Lohngleichheit soll nicht nur für gleiche, sondern auch für gleichwertige Arbeit gelten. Die Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Konzepte zu entwickeln, um den Wert der Arbeit zu ermitteln und vergleichen zu können. Kriterien für die Bewertung sind nach Art. 4 Abs. 4 jedenfalls Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und ggf. weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind. Der ErwG 26 erläutert hierzu, dass die Beschränkung auf die vier Hauptkriterien insbesondere Kleinstunternehmen sowie kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) vor Überlastung schützen soll. Weitere Faktoren wären nach ErwG 26 im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH berufliche Anforderungen sowie Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsbildungsanforderungen.
Die Richtlinie weitet die Bildung der Vergleichsgruppe für die Bewertung der Gleichwertigkeit in Art. 19 Abs. 1 über die Unternehmensgrenze hinaus aus. Der Vergleich ist auf "die einheitliche Quelle der Festlegung der Entgeltbedingungen" zu erstrecken. Die Vergleichsgruppe ist auch in zeitlicher Hinsicht erweitert, da es nach Art. 19 Abs. 2 nicht darauf ankommt, dass die Arbeitnehmer zur gleichen Zeit beschäftigt sind.
Für den Fall, dass mangels vergleichbarer Arbeitnehmer kein Wertigkeitsvergleich durchgeführt werden kann, sieht Art. 19 Abs. 3 vor, dass andere Beweismittel wie Statistiken oder Hypothesen zum Nachweis einer mutmaßlichen Entgeltdiskriminierung herangezogen werden können.
Diese Vorgabe der Richtlinie wird in der nationalen Umsetzung konturiert werden müssen.
2.2 Lohntransparenz
2.2.1 Entgelttransparenz schon vor der Beschäftigung (Art. 5)
Die Lohntransparenz beginnt schon beim arbeitssuchenden Bewerber. Nach Art. 5 hat schon der Stellenbewerber das Recht, vom künftigen Arbeitgeber das Einstiegsentgelt oder dessen Spanne sowie ggf. einschlägige zur Anwendung kommende Tarifbestimmungen zu erfahren. Diese Informationen sind so frühzeitig bereitzustellen, etwa schon in der Stellenausschreibung, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden.
Im deutschen Recht ist eine solche Verpflichtung bisher nicht vorgesehen. Fraglich ist, ob die frühzeitige Bereitstellung durch den bloßen Verweis auf bestehende, oft aber nicht öffentlich einsehbare Tarifwerke ausreicht, oder ob diese offengelegt werden müssten. Und müssten nicht tarifgebundene Arbeitgeber ihre Entgeltsystematik, soweit überhaupt vorhanden, dem Bewerber und damit faktisch dem Wettbewerb gegenüber offenlegen? Der Erwägungsgrund 21 formuliert ausdrücklich, dass der Begriff des Entgelts nicht nur das Grundgehalt, sondern auch ergänzende und variable Bestandteile (beispielsweise Boni, Überstundenausgleich, Fahrvergünstigungen, Verpflegungszuschüsse) umfasst.
Entgegen der verbreiteten Praxis, den Bewerber nach seinem bisherigen Einkommen zu fragen, sieht die Richtlinie nun das Verbot einer solchen Frage vor (vgl. Art. 5 Abs. 3).
Der deutsche Gesetzgeber wird hier Geheimhaltungsinteressen des Unternehmers an seiner Vergütungsstruktur (Grundgehalt, Bonussysteme) und das Transparenzgebot der Richtlinie in einen abgewogenen Einklang bringen müssen.
2.2.2 Transparenz im laufenden Arbeitsverhältnis
(1) Informations- und Auskunftspflichten (Art. 6, 7)
Arbeitgeber sind nach Art. 6 der Richtlinie verpflichtet, ihren Beschäftigten Informationen darüber, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, der Entgelthöhe und der Entgeltentwicklung verwendet werden, zur Verfügung zu stellen. Flankiert wird diese Arbeitgeberpflicht durch im Vergleich zum bisherigen deutschen Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) erweiterte Auskunftsrechte der Beschäftigten. Diese werden das Recht haben, Auskunft über ihr individuelles Einkommen und über die durchschnittlichen Einkommen zu verlangen – aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten. Dieses Recht wird für alle Arbeitnehmer unabhängig von der Größe des Unternehmens bestehen. Anders als das bisherige deutsche Recht wird hier nicht auf den Median abgestellt, sondern auf den Durchschnitt der Entgelthöhen. Damit können Arbeitnehmer in Erfahrung bringen, wie sie im durchschnittlichen Vergleich entlohnt werden und bei kleiner Vergleichsgruppe das konkrete Gehalt der Kollegen ermitteln. Nach Art. 7 Abs. 3 müssen Arbeitgeber alle Arbeitnehmer jährlich über ihr Recht, Ausk...