Zusammenfassung
Am 6.6.2023 ist die Europäische Entgelttransparenzrichtlinie (EU/2023/970) in Kraft getreten. Sie bringt erweiterte Auskunftsansprüche und Berichtspflichten sowie Entschädigungsansprüche bei geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung.
1 Entstehungsgeschichte
Der Grundsatz des gleichen Entgelts ist seit 1957 in den Europäischen Verträgen (vgl. Art. 157 AEUV) verankert. Männer und Frauen sollen in der EU bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten. Im Jahr 2006 wurden mehrere Richtlinien zur Gleichstellung der Geschlechter in Arbeits- und Beschäftigungsfragen in der Richtlinie 2006/54/EG unter dem Eindruck der ergangenen Rechtsprechung des EuGH neu gefasst und konsolidiert. 2014 wurde die Richtlinie ferner durch die Empfehlung der Europäischen Kommission (2014/124/EU) zur Entgelttransparenz ergänzt. Am 13.6.2019 verabschiedete der Rat der Europäischen Union seine Schlussfolgerung zum Thema "Verringerung des Lohngefälles zwischen Frauen und Männern" und forderte die Kommission auf, konkrete Maßnahmen für mehr Lohntransparenz auszuarbeiten. Im März 2020 veröffentlichte die Kommission dann Maßnahmen zur Beseitigung des geschlechtsspezifischen Lohngefälles im Rahmen ihrer "Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025", gefolgt vom "Aktionsplan 2021-2025 für die Gleichstellung der Geschlechter". Am 4.3.2021 nahm die Kommission eine Gesetzesvorlage über verbindliche Maßnahmen zur Lohntransparenz an, am 6.12.2021 gab der Rat der Europäischen Union seine Stellungnahme dazu ab. Am 30.3.2023 konnte das Europäische Parlament nach zweijährigen interinstitutioneller Verhandlungen der entwickelten Entgelttransparenz-Richtlinie zustimmen, der Rat der Europäischen Union nahm den Entwurf am 24.4.2023 an. Am 17.5.2023 wurde die Richtlinie im EU-Amtsblatt veröffentlicht und tritt gemäß Art. 36 der Richtlinie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung, und damit am 6.6.2023, in Kraft.
Spätestens nach der dreijährigen Umsetzungsfrist gemäß Art. 34 Abs. 1 der Richtlinie, nämlich bis zum 7.6.2026, müssen alle EU-Staaten alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie eingeführt haben. Für den deutschen Gesetzgeber bedeutet das insbesondere die Überarbeitung des seit 2017 bestehenden Entgelttransparenzgesetzes.
2 Zentrale Inhalte der Richtlinie
Für den europäischen Gesetzgeber waren mangelnde Transparenz von Entgeltsystemen, mangelnde Rechtssicherheit in Bezug auf den Begriff der gleichwertigen Arbeit und Verfahrenshindernisse für Diskriminierungsopfer die maßgeblichen Indikatoren für die Erstellung der Richtlinie (vgl. Erwägungsgrund 11). In den Evaluierungen der Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG wurde festgestellt, dass sich durch größere Transparenz geschlechtsspezifische Verzerrungen und Diskriminierungen in den Vergütungsstrukturen eines Unternehmens aufdecken ließen und so die Möglichkeit eröffnen würde, geeignete Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Rechts auf gleiches Entgelt zu ergreifen.
2.1 Begriff der gleichwertigen Arbeit (Art. 4)
Lohngleichheit soll nicht nur für gleiche, sondern auch für gleichwertige Arbeit gelten. Die Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Konzepte zu entwickeln, um den Wert der Arbeit zu ermitteln und vergleichen zu können. Kriterien für die Bewertung sind nach Art. 4 Abs. 4 jedenfalls Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und ggf. weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind. Der ErwG 26 erläutert hierzu, dass die Beschränkung auf die vier Hauptkriterien insbesondere Kleinstunternehmen sowie kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) vor Überlastung schützen soll. Weitere Faktoren wären nach ErwG 26 im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH berufliche Anforderungen sowie Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsbildungsanforderungen.
Die Richtlinie weitet die Bildung der Vergleichsgruppe für die Bewertung der Gleichwertigkeit in Art. 19 Abs. 1 über die Unternehmensgrenze hinaus aus. Der Vergleich ist auf "die einheitliche Quelle der Festlegung der Entgeltbedingungen" zu erstrecken. Die Vergleichsgruppe ist auch in zeitlicher Hinsicht erweitert, da es nach Art. 19 Abs. 2 nicht darauf ankommt, dass die Arbeitnehmer zur gleichen Zeit beschäftigt sind.
Für den Fall, dass mangels vergleichbarer Arbeitnehmer kein Wertigkeitsvergleich durchgeführt werden kann, sieht Art. 19 Abs. 3 vor, dass andere Beweismittel wie Statistiken oder Hypothesen zum Nachweis einer mutmaßlichen Entgeltdiskriminierung herangezogen werden können.
Diese Vorgabe der Richtlinie wird in der nationalen Umsetzung konturiert werden müssen.
2.2 Lohntransparenz
2.2.1 Entgelttransparenz schon vor der Beschäftigung (Art. 5)
Die Lohntransparenz beginnt schon beim arbeitssuchenden Bewerber. Nach Art. 5 hat schon der Stellenbewerber das Recht, vom künftigen Arbeitgeber das Einstiegsentgelt oder dessen Spanne sowie ggf. einschlägige zur Anwendung kommende Tarifbestimmungen zu erfahren. Diese Informationen sind so frühzeitig bereitzustellen, etwa schon in der Stellenausschreibung, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleiste...