Leitsatz
Der Gesellschafter einer GmbH setzt sich einer Durchgriffshaftung aus, wenn er das Gesellschafts- mit seinem Privatvermögen unkontrolliert vermischt.
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem am 11.2.2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der W-GmbH, die im Oktober 1995 mit einem Stammkapital von 50000 DM gegründet wurde. Die Beklagte war Gründungs- und ab 1997 Alleingesellschafterin der GmbH, außerdem von Oktober 1995 bis 12.1.1998 deren Alleingeschäftsführerin. Anschließend war T Geschäftsführer, wurde aber am 29.6.1998 durch K abgelöst. Im Insolvenzverfahren wurden Forderungen in Höhe mehrerer Mio. DM angemeldet, darunter fast zwei Mio. DM rückständige Steuern. Mit der Klage macht der Kläger eine "Durchgriffshaftung" der Beklagten in Höhe der festgestellten Forderungen geltend. Der BGH hob die verurteilende Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache zurück.
Entscheidung
Nach der Rechtsprechung kommt eine persönliche Haftung von GmbH-Gesellschaftern in Betracht, wenn die Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung oder auf andere Weise verschleiert worden ist und deshalb die Kapitalerhaltungsvorschriften, deren Einhaltung ein unverzichtbarer Ausgleich für die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen gemäß § 13 Abs. 2 GmbHG ist, nicht funktionieren können. Insoweit handelt es sich um einen weithin auch im Schrifttum akzeptierten Durchgriffstatbestand in den Fällen, in denen eine Kontrolle über die Verwendung des Gesellschaftsvermögens vereitelt wird. Er kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn es an einer Buchführung überhaupt fehlt.
Hierzu genügt aber nicht schon das Fehlen einer "doppelten Buchführung", solange sich die Vermögenszu- und -abflüsse sowie die Trennung von Gesellschafts- und Privatvermögen der Gesellschafter noch aufgrund sonstiger Unterlagen nachvollziehen lassen. Die Buchführungspflicht obliegt dem Geschäftsführer. Ihre Verletzung kann Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihn auslösen, führt aber noch nicht ohne weiteres zu einer Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern. Haftungsgrund hierfür ist nicht die mangelhafte Buchführung, sondern der Tatbestand der von dem Gesellschafter zu verantwortenden "Vermögensvermischung". Ergibt sich unter diesen Voraussetzungen eine Unkontrollierbarkeit der Zahlungsvorgänge mit der Folge, dass die Vermögensmassen der Gesellschaft und des Gesellschafters nicht mehr unterschieden werden können, greift die Haftung des Gesellschafters ein.
Praxishinweis
Die Durchgriffshaftung wegen Vermögensvermischung ist keine Zustands-, sondern eine Verhaltenshaftung wegen Rechtsformmissbrauchs. Sie trifft einen Gesellschafter nur, wenn er als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter für die Vermögensvermischung verantwortlich ist. Versäumnisse, die – wie teilweise hier – in der Zeit nach dem Ausscheiden des Organs zu verzeichnen sind, können ihm nicht angelastet werden. Die bloße Gesellschafterstellung kann allenfalls dann zu einer Gesellschafterhaftung führen, wenn ein Gesellschafter sehenden Auges eine Gläubigerschädigung durch den Geschäftsführer geschehen lässt. Hierfür sah der BGH keine Anhaltspunkte.
Das OLG muss vor einer abschließenden Entscheidung den Sachverhalt weiter aufklären und insbesondere feststellen, wie der Zustand der Buchhaltung tatsächlich war und ob sich aus ihr – trotz der Fehlerhaftigkeit – möglicherweise noch nachvollziehbare Angaben zu der Vermögensentwicklung der GmbH ergeben.
Link zur Entscheidung
BGH-Urteil vom 14.11.2005, II ZR 178/03