Leitsatz
Die Beklagte ist eine nach englischem Recht gegründete private limited company ("Limited"), die allein in Deutschland tätig war, also hier ihren Verwaltungssitz hatte. Der Kläger war Gesellschafter und einzelvertretungsberechtigter Director (d.h. Geschäftsführer) der Beklagten. Bei einer in Abwesenheit des Klägers durchgeführten Gesellschafterversammlung wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen. Der Kläger hat den Beschluss vor einem deutschen Gericht angegriffen und die Feststellung begehrt, dass er nichtig ist. Die Beklagte hat das angerufene deutsche Gericht für international unzuständig gehalten, da allein englische Gerichte über Gesellschafterbeschlüsse der Limited entscheiden könnten.
Nachdem das Landgericht der Klage des abberufenen Geschäftsführers stattgab, legte die Beklagte erfolgreich Berufung ein. Das OLG Frankfurt wies die Klage als unzulässig ab, da die deutschen Gerichte für die Entscheidung des Rechtsstreits international nicht zuständig seien. Ausschließlich zuständig seien vielmehr die englischen Gerichte.
Da sowohl Großbritannien als auch Deutschland Mitgliedstaaten der EU sind, ergibt sich die internationale Zuständigkeit bei Klagen, die die Gültigkeit von Beschlüssen von Organen einer Gesellschaft zum Gegenstand haben, aus Art. 22 Nr. 2 der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Danach sind die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft ihren Sitz hat, ausschließlich zuständig. Es ist nun umstritten, ob der Sitz nach dem Verwaltungssitz der Gesellschaft (= sog. Sitztheorie - hier Deutschland) oder dem Satzungssitz (= sog. Gründungstheorie - hier England) zu bestimmen ist.
Im vorliegenden Fall folgte das OLG der Gründungstheorie und begründete seine Auffassung wie folgt: Die Anknüpfung an den Satzungssitz der Gesellschaft - England - werde dem Zweck des Art. 22 Nr. 2 EuGVVO am besten gerecht, da auf diese Weise vermieden würde, dass ein Richter über besonders grundlegende gesellschaftsrechtliche Fragen nach ausländischem Recht befinden muss. Auf diese Weise würden sich widersprechende Entscheidungen über das Bestehen von Gesellschaften und die Gültigkeit der Entscheidungen ihrer Organe verhindert, weil der nach seinem Heimatrecht entscheidende Richter unmittelbaren Zugang zu den Rechtsquellen und der einschlägigen Rechtsprechung habe. Dem gegenüber müsste ein ausländischer Richter, dem dieser Zugang fehle, i.d.R. ein Rechtsgutachten einholen. Ausschließlich zuständig für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits seien deshalb die englischen Gerichte.
Hinweis
Die Gründungstheorie wird größtenteils in der angelsächsischen Rechtsordnung (z.B. Großbritannien) angewandt. Danach unterliegt eine Gesellschaft dem Recht desjenigen Staates, in dem sie gegründet wurde; auf ihren Verwaltungssitz kommt es nicht an. Demgegenüber war bis vor kurzem in den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, insbesondere auch in Deutschland, die Sitztheorie herrschend. Nach dieser ist nicht der Satzungssitz, sondern der tatsächliche Sitz maßgebend.
In den letzten Jahren hat der EuGH jedoch die Rechtsposition von Gesellschaften gestärkt, die im Einzugsbereich der Gründungstheorie gegründet worden waren, ihre Geschäftsaktivitäten aber ausschließlich von kontinentaleuropäischen Ländern aus betrieben; sie sind nach dem EuGH "als solche", d.h. in ihrer jeweiligen nationalen Rechtsform und Ausprägung anzuerkennen. Die Entscheidung des OLG Frankfurt/Main folgt dieser Rechtsprechung und belässt die Entscheidung über rein interne Angelegenheiten der Limited den englischen Gerichten - eine sinnvolle und nachvollziehbare Entscheidung.
Es bleibt abzuwarten, ob die deutsche Rechtsordnung endgültig zur Gründungstheorie umschwenkt. Ein Anfang ist mit dem MoMiG gemacht - AG und GmbH müssen nur noch ihren Satzungssitz im Inland haben, während der Verwaltungssitz auch außerhalb Deutschlands liegen kann. Nur das deutsche Internationale Privatrecht muss diesen Schritt noch nachvollziehen (eine entsprechende Änderung des EGBGB ist vorbereitet, aber noch nicht umgesetzt). Bis dahin ist zumindest für ausländische Gesellschaften aus Nicht-EU-Staaten Vorsicht geboten, denn diese werden in Deutschland ggf. nicht anerkannt, wenn sie hier ihren Verwaltungssitz haben (so der BGH für die Schweizer AG und die Singapur-Limited).
Die Entscheidung zeigt auch, dass mit der Gründung und der Verwendung einer Limited in Deutschland für die Gesellschafter ein hoher Aufwand verbunden sein kann. Denn sie müssen ihre Rechte in England nach englischem Recht durchsetzen, was häufig mit hohen Kosten und einem großen Aufwand verbunden ist, was die Vorteile der Limited zunichte machen kann.
Link zur Entscheidung
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.02.2010, 21 U 54/09