Prof. Dr. Claudia Ossola-Haring
4.1 Risikomanagement als Geschäftsführungsaufgabe
Häufiger Grund für eine Krisenentwicklung in der GmbH ist eine mangelhafte Risikoeinschätzung. Für einen GmbH-Geschäftsführer besteht hier ein konkreter Handlungsbedarf, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, zu haften. Ein Risikomanagement gehört dazu, weil hier das Aktiengesetz (konkret: § 91 Abs. 2 AktG) analog auch für GmbHs angewendet wird. Nach dem StaRUG ist Risikomanagement ebenfalls eine Voraussetzung für eine Restrukturierung.
Ein Risikomanagement gehört also zu den allgemeinen Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers. Er muss im Rahmen seiner Pflichten die GmbH so organisieren, dass es ihm "aus dem Stand heraus" möglich ist, eine Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der GmbH zu gewinnen. Er muss sich jederzeit ein genaues Bild von der Lage des Unternehmens machen können, insbesondere muss er die Umsatzentwicklung und die Liquiditätslage sowie die Entwicklung der Schulden beurteilen können.
Krisenerkennung durch Controlling
Zu diesem allgemeinen Pflichtenkatalog gehört es auch, dass ein Geschäftsführer eine herannahende Krise des Unternehmens erkennen kann: Die ständige vorausschauende Kontrolle der Solvenz der GmbH ist erforderlich.
Sobald eine Krise erkannt wurde, muss rechtzeitig reagiert und alle notwendigen Maßnahmen zur Unternehmensrettung ergriffen werden. Das setzt wiederum voraus, dass beispielsweise ein funktionsfähiges Controlling oder eine effektive interne Revision aufgebaut worden ist und laufend überwacht wird.
4.2 Gesetzliche Anforderungen an ein Risikomanagementsystem
Von Gesetzes wegen sind nur wenige Kapitalgesellschaften in Deutschland verpflichtet, ein Managementsystem zu unterhalten, mit dem sie Risiken früh erkennen, und die getroffenen Maßnahmen im Lagebericht offenzulegen.
Die gesetzliche Sorgfaltspflicht eines GmbH-Geschäftsführers verpflichtet ihn allgemein, also unabhängig von der Größenklasse der GmbH oder deren Publikationspflichten, dem Gläubigerschutz Genüge zu tun. Zwar sind kleine und mittelgroße und durchaus auch große Kapitalgesellschaften, sofern sie nicht kapitalmarktorientiert sind, gesetzlich nicht verpflichtet, ein Risikomanagementsystem einzuführen. Oft verfügen sie auch weder über einen Aufsichts- noch über einen fakultativen Beirat. Dennoch sollte der Geschäftsführer wegen seiner Sorgfalts- und Vermögensbetreuungspflicht systematische Risikomanagementmaßnahmen einführen. Es liegt auch in seinem eigenen Interesse, da er von der GmbH und deren Gesellschaftern persönlich in Haftung genommen werden kann, wenn er seine Pflichten vernachlässigt.
4.3 Risiko- und Krisenmanagement mit Internet und Künstlicher Intelligenz
Krisenmanagement ohne Internet ist heute nicht mehr denkbar. Dies wird auch für die Künstliche Intelligenz (KI) gelten. Denn genauso wie das Internet in den vergangenen zehn Jahren Wirtschaft und Gesellschaft weitgehend durchdrungen hat, wird KI in den nächsten zehn Jahren genau so präsent und selbstverständlich sein. Niemand, der in der Wirtschaft tätig ist, wird diese Entwicklung ignorieren können.
KI ist eine Art "kollektive Intelligenz". Es geht um maschinelles Lernen, das tiefe Lernen (deep learning) mit neuronalen Netzen (deep neural networks). Neuronale Netze werden mit für einen Menschen unvorstellbar großen Mengen von Daten gefüttert. Diese Daten werden analysiert, um so Muster zu erkennen. Die neuronalen Netze besitzen viele verborgene Schichten (hidden layers), in denen sich Wahrscheinlichkeitswerte herausbilden. Anders ausgedrückt: Der KI-Code wird nicht von Programmierern geschrieben, sondern aus den Daten entwickelt. Eingabe und Ausgabe stehen in einem definierten mathematischen Verhältnis zueinander. Das Verhältnis beruht nicht auf logischen Schlussfolgerungen, sondern auf statistischen Berechnungen. Damit ist die Identifikation von Krisenstadien deutlich einfacher und "vorurteilsfreier" als mit einer programmierten und damit vom Programmierer und dessen Fach- und Sachkenntnissen sowie logischem Denken abhängigen Software.
Der Fortschritt in der Forschung zu KI hängt von der Verfügbarkeit von strukturierten Daten im Internet ab. Bei Kapitalgesellschaften, gleichgültig welcher konkreten Rechtsform und gleichgültig, welcher Größenklasse, gibt es wegen der Offenlegungspflichten diese strukturierten Daten im Internet. Je nach Größenklasse müssen Kapitalgesellschaften ihre Jahresabschlüsse teilweise oder ganz im elektronischen Handelsregister veröffentlichen (§§ 325 ff. HGB). Der Nachteil: Diese Daten sind solche, die sich auf einen Stichtag, den Bilanzstichtag, in der Vergangenheit beziehen. Allenfalls im Lagebericht befinden sich verbale Äußerungen zur Zukunft. Dennoch können auch aus vergangenheitsorientierten Zahlen und Daten Abweichungen zu den Normalfällen herausgelesen und Trends abgeleitet werden. Die kritische Würdigung der Ergebnisse ist – und bleibt bis in die weitere Zukunft – dem menschlichen Verstand vorbehalten.