Rz. 1

Die Bestimmung regelt den Zeitpunkt des Eintritts der formellen (äußeren) Rechtskraft von Urteilen sowie – in entsprechender Anwendung – von anderen der formellen Rechtskraft fähigen Entscheidungen. Formelle Rechtskraft bedeutet die Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Diese ist dann gegeben, wenn die Entscheidung mit einem ordentlichen Rechtsmittel oder einem befristeten Rechtsbehelf nicht mehr angefochten werden kann (§ 19 Abs. 1 EGZPO). Dabei muss die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und eines Wiederaufnahmeverfahrens außer Betracht bleiben. Die formelle Rechtskraft ist schließlich Voraussetzung der materiellen (inneren) Rechtskraft (§ 322 ZPO). Die materielle Rechtskraft gehört zu den Kernelementen des deutschen Zivilprozessrechts. Sie führt dazu, dass der Inhalt einer formell rechtskräftigen, d. h. mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbaren Entscheidung für die Parteien des Rechtsstreits verbindlich ist. Den Parteien ist es nicht mehr möglich, nochmals über denselben Streitgegenstand vor Gericht zu streiten. Damit sichert die materielle Rechtskraft den Rechtsfrieden. Praktisch lassen sich zwei Wirkungen der Rechtskraft in Folgeprozessen unterscheiden: Streiten sich die Parteien in einem Folgeprozess über denselben Gegenstand, ist die Klage unzulässig und ist damit ohne Sachprüfung abzuweisen ("ne bis in idem"). Streiten sich die Parteien in einem Folgeprozess über einen anderen Gegenstand, ist aber die im Vorprozess rechtskräftig festgestellte Rechtsfolge im Folgeprozess vorgreiflich (Präjudizialität), so ist das Gericht im Folgeprozess an die rechtskräftige Entscheidung aus dem Vorprozess gebunden, ist damit der Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung aus dem Vorprozess ohne Sachprüfung zugrunde zu legen (OLG Karlsruhe, Urteil v. 16.3.2020 – 1 U 16/19-, juris; BGH NJW 2017, 893; NJW 1986, 1046; BAG NZA 2017, 595). In Verfahren betreffend Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit findet § 45 FamFG Anwendung.

 

Rz. 2

Die Vorschrift regelt den Eintritt der formellen Rechtskraft nur unvollständig. Sie bestimmt in Satz 1 zunächst, wann die Rechtskraft (noch) nicht eintritt, und in Satz 2, wodurch ihr Eintritt gehemmt werden kann. Wann im Einzelfall die Rechtskraft positiv eintritt, muss deshalb unter Berücksichtigung des Regelungsinhalts der Norm gefolgert werden.

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