Rz. 1
Geht der Gläubiger gegen den Schuldner aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil vor und betreibt aus diesem die Zwangsvollstreckung, dann stehen dem Schuldner materielle Einwendungen nicht zu (Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung). Durch die Möglichkeiten, die Zwangsvollstreckung unter bestimmten Umständen einzustellen, soll der Schuldner geschützt werden, denn es könnte ja der Fall eintreten, dass der vorläufig vollstreckbare Titel aufgehoben und damit beseitigt wird. Die Durchführung der Zwangsvollstreckung könnte Nachteile für den Schuldner bringen, die später nicht mehr ohne weiteres rückgängig gemacht werden können (MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 1). Da auch dem Gläubiger Nachteile durch die Einstellung entstehen können – Risiko des Vermögensverfalls beim Schuldner – ist in der Regel die Einstellung nur gegen Sicherheitsleistung möglich.
1.1 Anwendungsbereich
Rz. 2
Eine einstweilige Einstellung oder auch eine Erschwerung der Zwangsvollstreckung nach dieser Bestimmung ist zunächst unmittelbar dann möglich, wenn ein Antrag auf Wiedereinsetzung (§ 232 ZPO) in den vorigen Stand wegen der Versäumnis der Einspruchs-, Rechtsmittel- oder auch Rechtsmittelbegründungsfrist im Hinblick auf ein Urteil gestellt ist, wenn zur Wiederaufnahme (§ 578 ZPO) eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens eine Nichtigkeits- oder Restitutionsklage anhängig gemacht wurde, wenn die Rüge nach § 231a ZPO erhoben und wenn nach einem Vorbehaltsurteil der Rechtsstreit im Nachverfahren fortgesetzt wird (§§ 302, 599, 600 ZPO). Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Verweisung ist die Bestimmung darüber hinaus anwendbar in den Fällen der §§ 700, 719 ZPO (Einspruch oder Berufung gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil bzw. gegen einen Vollstreckungsbescheid), des § 1065 Abs. 2 S. 2 ZPO (Schiedsspruch), des § 1095 Abs. 1 ZPO (Europäischer Zahlungsbefehl) und des § 924 Abs. 3, § 936 ZPO (bei Widerspruch gegen einen Beschluss, durch den ein Arrest angeordnet oder eine einstweilige Verfügung erlassen wurde). Auch bei einer im Wege des Urteils erlassenen einstweiligen Verfügung wird eine Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß §§ 719, 707 ZPO für zulässig erachtet. Allerdings wird sie nur ausnahmsweise und unter besonderen Umständen anzuordnen sein, was insbesondere dann zu bejahen ist, wenn schon im Zeitpunkt der Entscheidung über den Einstellungsantrag ohne aufwendige Überprüfungen feststeht, dass das angefochtene Urteil voraussichtlich keinen Bestand haben kann (OLG Frankfurt, NZI 2013, 978 = ZIP 2013, 2018 = ZInsO 2013, 2112). In Ehe- und Familienstreitsachen findet § 120 Abs. 1 FamFG Anwendung. Dabei verweist § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG unter bestimmten Voraussetzungen (§ 120 Abs. 2 S. 2 FamFG) auf die §§ 707 Abs. 1, 719 Abs. 1 ZPO.
Rz. 3
Entsprechend anwendbar ist die Vorschrift (vgl. MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 3, 4),
- wenn die Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs durch die Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreits geltend gemacht wird (OLG Zweibrücken, FamRZ 1975, 104; MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 4; Stein/Jonas/Münzberg, § 707 Rn. 28) und gegenüber einem Zwischenvergleich, falls die Klage abgewiesen wird (OLG Hamm, FamRZ 1985, 307);
- wenn die Aufhebung eines Arrestbefehls oder einer einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände in dem Aufhebungsverfahren des § 927 ZPO oder die Aufhebung eines Schiedsspruchs nach § 1059 ZPO begehrt wird (für § 927 s. OLG Zweibrücken, FamRZ 1981, 698 (699); für § 926 Abs. 2 s. OLG Düsseldorf, NJW 1970, 254; OLG Karlsruhe, OLGZ 1973, 486 (488); Stein/Jonas/Münzberg, § 707 Rn. 28);
- wenn die Kammer für Baulandsachen zur Entscheidung gegen eine vorzeitige Besitzeinweisung der Enteignungsbehörde angerufen wird (OLG Karlsruhe, MDR 1983, 943; OLG Celle, NJW 1974, 2290; MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 3);
- wenn eine unvollständige Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit getroffen wurde und deshalb ein Ergänzungsantrag gestellt wurde (LG Hannover, MDR 1980, 408; MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 4);
- in Ehe- und Familienstreitsachen nach § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG (MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 3);
- wenn der Schuldner einen Wiedereinsetzungsantrag nach § 186 InsO wegen der Versäumung des Prüfungstermins gestellt hat und
- wenn bei Urteilen die Rechtskraft mittels einer Klage nach § 826 BGB durchbrochen werden soll (Stein/Jonas/Münzberg, § 707 Rn. 28 m. w. N.; a. A. MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 5 m. w. N.; Zöller/Seibel, § 707 Rn. 4).
Rz. 4
Nicht anwendbar ist § 707 ZPO in den Fällen, in denen der Vollstreckungstitel mit der Beschwerde angefochten worden ist und die Vorschrift des § 570 Abs. 2 und 3 ZPO Anwendung findet sowie bei rechtskraftdurchbrechender Klage aus § 826 BGB (OLG München, NJW 1976 1748), bei einer Abänderungsklage nach § 323 ZPO, bei der § 769 ZPO entsprechend anzuwenden ist (MünchKomm/ZPO-Götz, § 707 Rn. 5), im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen (§ 1105 Abs. 1 S. 2 ZPO) und bei Kostenfestsetzungsbeschlüssen aus einstweiliger Verfügung, wenn de...