1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Die Anordnung der Sicherheitsleistung bei einem nach § 709 ZPO von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar zu erklärenden Urteil kann im Einzelfall für den Gläubiger eine unbillige, unzumutbare Härte bedeuten. Ein Gläubiger, dessen wirtschaftliche Verhältnisse die Leistung der Sicherheit nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten ermöglichen, kann den vorläufig vollstreckbaren Titel nicht ausschöpfen. Hier setzt die Bestimmung an, indem sie auf Antrag eine Vollstreckbarerklärung ohne Sicherheitsleistung zulässt (MünchKomm/ZPO-Götz, § 710 Rn. 1). Die Vorschrift gilt für die Fälle des § 709 ZPO und aufgrund der Verweisung des § 711 Satz 3 ZPO zudem entsprechend, soweit das Gericht in den Fällen des § 708 Nr. 4-11 ZPO nach § 711 Satz 1 ZPO eine Abwendungsbefugnis anordnen müsste (BeckOK/ZPO-Ulrici, § 710 Rn. 1). Eine Ausgleichsregelung für den Schuldner findet sich in den §§ 711 Satz 1 u. 2, 712 ZPO (Zöller/Herget, § 710 Rn. 1). Keine entsprechende Anwendung findet die Bestimmung allerdings dann, wenn das Gericht nach den §§ 921 Satz 2, 936 ZPO den Vollzug eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung abhängig macht, weil dem entgegensteht, dass die Ausnahmeregelung des § 710 ZPO auf das normale Erkenntnisverfahren, in dem der Gegner volles rechtliches Gehör hatte, bezogen ist. Gegen eine entsprechende Anwendung spricht auch der summarische Charakter im einstweiligen Rechtsschutz (OLG Köln, MDR 1989, 920). Schließlich kann das Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen der Ausübung seines Ermessens nach § 921 Satz 2 ZPO die Anordnung des Arrestes von einer Sicherheitsleistung abhängig machen, selbst wenn der Anspruch und der Arrestgrund glaubhaft gemacht sind (BeckOK/ZPO-Ulrici, § 710 Rn. 2).
2 Verfahren
Rz. 2
Die Entscheidung setzt einen Antrag des Gläubigers voraus. Dieser ist nach § 714 Abs. 1 ZPO vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen, damit die Entscheidung noch in den Urteilstenor aufgenommen werden kann. Eine Nachholung eines in erster Instanz "vergessenen" Antrags in der zweiten Instanz ist nicht möglich (OLG Schleswig, SchlHA 1979, 144; im Einzelnen: vgl. § 714 Rn. 2). Die den Antrag begründenden Angaben sind glaubhaft zu machen (§ 714 Abs. 2, § 294 ZPO). Die Entscheidung erfolgt im Tenor des Urteils, der bei einer stattgebenden Entscheidung lautet: "Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar." Wird dem Antrag nicht stattgegeben, dann ist das Urteil nach der anzuwendenden Vorschrift (§§ 708, 709, 711 ZPO) gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. In den Entscheidungsgründen muss dargelegt werden, warum dem Antrag nicht stattgegeben wurde. Die Entscheidung ist nur mit den in der Hauptsache zulässigen Rechtsmitteln anfechtbar; für das entscheidende Gericht gilt § 318 ZPO, soweit nicht § 319 ZPO eingreift. Nach § 718 Abs. 1 ZPO kann das Berufungsgericht vorab eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit treffen. Insoweit muss im Rahmen des § 232 ZPO nicht eigens belehrt werden (BeckOK ZPO/Ulrici, § 710 Rn. 9).
3 Materielle Voraussetzungen
Rz. 3
Voraussetzung für den Erlass der Anordnung nach § 710 ZPO ist es, dass dem Gläubiger die Sicherheitsleistung unmöglich oder erheblich erschwert ist und er deshalb nicht aus dem Urteil nicht vorläufig vollstrecken kann oder der Schuldner ihm nach § 711 ZPO die vorläufige Vollstreckung unmöglich machen kann. Unmöglich ist die Sicherheitsleistung für den Gläubiger, wenn er die erforderlichen Geldmittel nicht auftreiben bzw. einen tauglichen Bürgen nicht stellen kann. Mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist eine Sicherheitsleistung dann, wenn sie den Gläubiger in seiner Lebenshaltung in unzumutbarer Weise beeinträchtigen würde. Das kann u. a. dann sein, wenn er zum Zwecke der Stellung der Sicherheit einen Kredit aufnehmen müsste. Auch weitere deutliche Einbußen in der Lebensführung, die der Gläubiger aufgrund der Sicherheitsleistung hinnehmen müsste, können im Einzelfall unzumutbar sein (MünchKomm/ZPO-Götz, § 710 Rn. 4). Stets ist eine Beurteilung aller Umstände in der Person des Gläubigers vorzunehmen (Zöller/Herget, § 710 Rn. 2). In der Praxis kommt die Anwendung dieser Bestimmung eher selten vor.
Rz. 4
Hinzukommen muss, dass ein Zuwarten mit der Vollstreckung für den Gläubiger unbillig wäre. Das ist nach dem Gesetz dann der Fall, wenn der Gläubiger durch die Verzögerung einen schwer zu ersetzenden oder in seinem ganzen Umfang schwer abzusehenden Nachteil erleiden würde oder wenn er die Leistung für seine Lebenshaltung oder seine Erwerbstätigkeit dringend benötigt. Diese in der Vorschrift angeführten Fälle sind nur Beispiele für die Unbilligkeit. Aus sonstigem Grund kann ebenfalls eine Unbilligkeit vorliegen. Die Prüfung der Frage erfordert eine Gesamtbewertung der Einzelumstände (Zöller/Herget, § 710 Rn. 2), wobei die Unzumutbarkeit einem der gesetzlichen Beispiele ähnlich sein muss (OLG München, Urteil v. 9.9.2011 – 10 U 2492/11; Stein/Jonas/Münzberg, § 710 Rn. 3). Dabei kann auch das Verhalt...