3.1 Anwendungsbereich
Rz. 5
§ 717 Abs. 2 ZPO soll gewährleisten, dass derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils in Anspruch genommen wird, seine Leistung zur Abwehr der Vollstreckung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält (BGH, ZInsO 2014, 1438 = NZI 2014, 709 = MDR 2014, 929). Eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung i. S. d. § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist nur anzunehmen, wenn sich der Schuldner einem gegen ihn ausgeübten Vollstreckungsdruck beugt und die Vollstreckung konkret droht (BGH, NJW-RR 2011, 338). Wenn allerdings auf ein vorläufig vollstreckbares Zahlungsurteil geleistet worden ist, setzt der Rückforderungsanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO keinen vom Gläubiger ausgehenden besonderen "Vollstreckungsdruck" voraus. Dieser folgt – nach Amtszustellung des Urteils – bereits aus der Möglichkeit einer Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO, die keiner Ankündigung des Gläubigers bedarf (KG, ZMR 2018, 306). Bei einem Feststellungsurteil ist eine Lage, die den Schuldner veranlassen müsste, "zur Abwendung der (Zwangs)Vollstreckung" im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO zu leisten, mangels eines darin enthaltenen Leistungsbefehls nicht gegeben und eine in diesem Zusammenhang erfolgte Zahlung nicht "zur Abwendung der (Zwangs)Vollstreckung" erfolgt. Ob aufgrund eines unmittelbaren Vollstreckungsdrucks geleistet worden ist, beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners (BAG v. 20.3.2014, 8 AZR 269/13, 8 AZR 560/13 – Juris = DB 2014, 500 = FA 2014, 255 = ArbRB 2014, 232; BGH, NZI 2012, 561). Die Bestimmung gilt unmittelbar zunächst nur für die Fälle, in denen entweder der Gläubiger aus einem lediglich vorläufig vollstreckbaren Urteil schon vollstreckt oder der Schuldner zur Abwendung der Vollstreckung aus einem solchen Urteil Leistungen erbracht hat und das Urteil später (ganz oder teilweise) aufgehoben (abgeändert) wurde. Nach § 1065 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt die Bestimmung ferner, wenn ein vorläufig vollstreckbarer Beschluss über die Vollstreckbarkeit eines Schiedsspruchs (§ 1054 ZPO), eines Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut (Vergleich, § 1053 ZPO) oder eines Anwaltsvergleichs (§ 796a ZPO) aufgehoben wird. Vergleichbare Regelungen enthalten für den Fall der Abänderung eines Vorbehaltsurteils im Nachverfahren § 302 Abs. 4 Satz 2, § 600 Abs. 2 ZPO und für den Fall, dass ein Arrest oder eine einstweilige Verfügung aufgehoben wird, § 945 ZPO. Der Erstattungsanspruch nach Abs. 2 ist auf die Wiederherstellung des früheren Zustandes gerichtet und geht auf den Ersatz des vollen Vollstreckungsschadens (LArbG Düsseldorf, Beschluss v. 3.3.2012, 17 Sa 277/11). Sinn und Zweck der Regelung der Vorschrift gebieten es, entsprechend dem Rechtsgedanken des § 717 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO auch die Verzinsungspflicht ab Entnahme der Vergütung durch den Insolvenzverwalter anzunehmen (BGH, ZInsO 2014, 1438 = NZI 2014, 709 = MDR 2014, 929). Im Rahmen von § 254 BGB (vgl. Zöller/Herget, § 717 Rn. 10) kann der Gläubiger ein bei der Schadensentstehung oder -ausweitung mitwirkendes Verschulden des Schuldners anspruchsmindernd geltend machen (BGH, NJW 1997, 2601). Dies gilt allerdings nur hinsichtlich des über die Rückgewähr der zur Anspruchsvollstreckung vereinnahmten Leistung hinausgehenden Schadens (BAG, NZA 2013, 216).
Rz. 6
Entsprechend anwendbar ist die Bestimmung bei den Kostenfestsetzungsbeschlüssen und den sonstigen Entscheidungen nach § 794 Abs. 1 Nr. 2, 3 ZPO, wenn daraus vollstreckt und der entsprechende Beschluss später aufgehoben wird (Zöller/Herget, § 717 Rn. 4). Das gilt auch für Vollstreckungsbescheide (LG Mönchengladbach, ZInsO 2013, 145). § 717 Abs. 2 ZPO ist auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbar (LArbG München, Beschluss v. 17.10.2012 – 11 TaBV 86/10).
Rz. 7
Nicht entsprechend anwendbar ist die Bestimmung, wenn sich eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 771 Abs. 3 ZPO nachträglich als ungerechtfertigt erweist (BGHZ 95, 1; Anm. Häsemeyer, NJW 1986, 1028; a. A. LG Frankfurt/Main, MDR 1980, 409); wenn das von dem Gläubiger erwirkte formell rechtskräftige Urteil wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht hätte erlassen werden dürfen und nicht in materielle Rechtskraft erwachsen kann (BGH, NJW-RR 1999, 1223), wenn der Beklagte aufgrund eines nicht rechtskräftigen Feststellungsurteils an den Kläger geleistet hat. Dies gilt auch, wenn statt auf Feststellung auf Leistung hätte geklagt werden können (BAG, NJW 1989, 3173), wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil wirkungslos wird, weil die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären (BGH, NJW 1988, 1268); bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Zöller/Herget, § 717 Rn. 5) und der Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn nach Rechtskraft des Urteils vollstreckt worden ist; beim Vergleich (OLG Düsseldorf, MDR 1992, 903 = NJW-RR 1992, 1530) und bei der vollstreckbaren Urkunde nach § 794 Abs. 1 Nr. 1, 5 ZPO, die später abgeändert wurde (OLG Karlsruhe, OLGZ 1979, 370); bei Verwaltungsakten, b...