Rz. 6
Schutz ermöglicht die Vorschrift nur gegen bestimmte Vollstreckungsmaßnahmen, nicht gegen die Durchführung des Verfahrens der Zwangsvollstreckung im Allgemeinen (OLG Köln, NJW 1994, 1743). Insbesondere kann mit einem Antrag nach § 765a ZPO nicht geltend gemacht werden, der der Zwangsvollstreckung zugrunde liegende Titel sei sachlich unrichtig, weil er z. B. erschlichen sei und seine Vollstreckung allein deshalb gegen die guten Sitten verstoße (OLG Frankfurt/Main, OLGZ 1981, 251; LG Frankenthal, Rpfleger 1984, 68). Eine sittenwidrige Härte kann sich grundsätzlich nicht aus materiell-rechtlichen Einwendungen des Schuldners gegen das Recht des Gläubigers auf Befriedigung aus dem Grundstück ergeben. Einwendungen dieser Art können nur mit der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden (OLG Hamm, InVo 2001, 451).
Rz. 7
Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO setzt das Vorliegen "ganz besonderer Umstände" voraus, die dazu führen, dass die einzelne Maßnahme der Zwangsvollstreckung für den Schuldner auch dann eine "Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist", wenn diese Abwägung "unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers" erfolgt (Abs. 1 Satz 1). Diese drei Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (BGH, NJW-RR 2018, 135; LG München, ZMR 2020, 654). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Gläubiger keine Aufgaben überbürdet werden dürfen, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Vom Schuldner kann erwartet werden, dass er alles ihm Mögliche und Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen. Steht fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass die Anordnung der Unterbringung eines selbstmordgefährdeten Räumungsschuldners zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer führen würde, ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren (befristet) einzustellen. Gleiches gilt, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine außer Verhältnis stehende jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nutzen begegnet werden kann. Kann die beim Schuldner bestehende Gefahr eines Suizids zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vollstreckungsgerichts weder durch seine Unterbringung nach dem Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker noch durch andere Maßnahmen beseitigt werden, kommt grundsätzlich allein eine befristete Einstellung des Zwangsvollstreckungsverfahrens in Betracht (BGH, NJW-RR 2017, 1420). Insbesondere ist es ihm, soweit er dazu in der Lage ist, zuzumuten, fachliche Hilfe – erforderlichenfalls auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik – in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern. Andere mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, die Ingewahrsamnahme des suizidgefährdeten Schuldners nach polizeirechtlichen Vorschriften oder seine Unterbringung nach den einschlägigen Landesgesetzen sowie die betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB). Kann der Gefahr eines Suizids des Schuldners auf diese Weise entgegengewirkt werden, scheidet eine Einstellung der Zwangsvollstreckung aus (BGH a. a. O.). Eine befristete Einstellung der Zwangsvollstreckung ist regelmäßig mit Auflagen zu versehen, die das Ziel haben, die Gesundheit des Schuldners wiederherzustellen. Das gilt auch, wenn die Aussichten auf eine Besserung des Gesundheitszustands des Schuldners gering sind. Im Interesse des Gläubigers ist es dem Schuldner grundsätzlich zuzumuten, auf eine Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken und den Stand seiner Behandlung dem Vollstreckungsgericht nachzuweisen (BGH a. a. O.; vgl. auch: BGH, NJW-RR 2017, 695).
4.1 "Ganz besondere Umstände"
Rz. 8
Diese Voraussetzung zeigt mit aller Deutlichkeit, dass es sich hier um Umstände handeln muss, die über diejenigen der allgemeinen Vollstreckungsschutzbestimmungen hinausgehen und der Norm ihren Ausnahme- und Auffangcharakter geben (MünchKomm/ZPO-Heßler, § 765a Rn. 29, 30). Härten, die jede Zwangsvollstreckung mit sich bringt, hat der Schuldner hinzunehmen (BGH, NJW 2004, 3635). Daher begründet es keine Härte im Sinne der Vorschrift, wenn die Zwangsvollstreckung einen erheblichen Eingriff in den Lebenskreis des Schuldners bewirkt, wenn ihm der Verlust eines ihm lieb gewordenen Gegenstands "weh tut" oder wenn er finanzielle Aufwendungen als Folge (z. B. Umzug in eine andere Wohnung) der Vollstreckung machen muss (LG Münster, InVo 2002, 293; OLG Frankfurt/Main, OLGZ 1981, 250; Zöller/Seibel, § 765a Rn. 5). Die Umstände müssen die konkrete Zwangsvollstreckung gegen diesen Schuldner von der Vollstreckung vergleichbarer Titel gegen andere Schuldner unterscheiden. Sie können...