1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Die Zwangsvollstreckung darf nur in das Vermögen des Schuldners betrieben werden. Die Vollstreckung wäre schwerfällig und langwierig, wenn die Vollstreckungsorgane die Zugehörigkeit der potentiellen Zugriffsobjekte zu dem Vermögen des Schuldners umfassend und abschließend überprüfen müssten. Das Gesetz knüpft deshalb im (formalisierten) Verfahren der Zwangsvollstreckung an leicht feststellbare äußere Tatsachen an, die die Zugehörigkeit zum Vermögen des Schuldners indizieren: bei beweglichen Sachen an den Gewahrsam; bei Grundstücken an den Nachweis der Eintragung im Grundbuch und bei Forderungen und anderen Rechten an die schlüssige Behauptung des Gläubigers, sie gehörten zum Vermögen des Schuldners. Es liegt deshalb auf der Hand, dass es – fast zwangsläufig – zu Übergriffen in fremdes, in das Vermögen Dritter kommt. Die Rechtsordnung nimmt dies bewusst in Kauf und stellt dem Dritten als "Korrektiv" die Drittwiderspruchsklage (auch Interventions- oder Widerspruchsklage) zur Verfügung. Sie überlässt es damit dem Dritten, in der Zwangsvollstreckung seine (eigenen) Rechte geltend zu machen.
Rz. 2
Nach h. M. ist die Drittwiderspruchsklage ebenfalls eine prozessuale Gestaltungsklage (MünchKomm/ZPO-K. Schmidt/Brinkmann, § 771 Rn. 3 m. w. N.; BGH, NJW 1972, 1048 = MDR 1972, 684). Anders z. B. als die Klage aus § 1004 BGB zielt sie nicht auf die Beseitigung eines Eingriffs in die geschützte Rechtssphäre, sondern dient allein dem Zweck, dem staatlichen Vollstreckungsakt seine Zulässigkeit mit dem Einwand der mangelnden haftungsrechtlichen Zugehörigkeit zum Schuldnervermögen zu nehmen. Das materielle Recht ist deshalb nicht Streitgegenstand der Drittwiderspruchsklage, sondern dient lediglich der Begründung der Klage.
2 Anwendungsbereich
Rz. 3
Die Drittwiderspruchsklage ist gegen die Zwangsvollstreckung aus jeder Art von Vollstreckungstitel, also auch Arrest (OLG Sachsen-Anhalt Urteil v. 5.4.2012 – 1 U 90/11) und einstweiliger Verfügung, in bewegliche Sachen, in Forderungen und andere Vermögensrechte sowie in das unbewegliche Vermögen möglich (LG Düsseldorf, Kunst und Recht 2016, 22). Darüber hinaus ist sie sowohl bei der Räumungsvollstreckung als auch bei der Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen (§§ 883 bis 886 ZPO) anwendbar (MünchKomm/ZPO-K. Schmidt/Brinkmann, § 771 Rn. 4). Schließlich findet sie auch gegenüber der Teilungsversteigerung zum Zwecke der Auseinandersetzung einer Gemeinschaft (§§ 180 ff. ZVG) Anwendung, soweit die Gemeinschaftsmitglieder die Teilungsversteigerung aus materiell-rechtlichen Gründen zu verhindern suchen (sog. "unechte Drittwiderspruchsklage": OLG München ZEV 2017, 265; OLG Köln, ErbR 2018, 271; BGH, NJW-RR 2014, 149; SchlHOLG, InVo 1999, 60; BGH, NJW 1985, 3066; FamRZ 1972, 363; OLG Frankfurt/Main, FamRZ 1985, 403). Verfolgt der Antragsteller im Wege der Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO nicht eigene Rechte, sondern solche der von ihm behaupteten GbR und ist die GbR nicht Eigentümerin der von einer Teilungsversteigerung betroffenen Grundstücke, da sie nicht im Grundbuch eingetragen ist, ist die Klage auf Unzulässigerklärung der Teilungsversteigerung unbegründet (AG Paderborn, Beschluss v. 22.1.2016, 80 F 82/15 – Juris). Keine Anwendung findet die Drittwiderspruchsklage, wo keine Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände stattfindet. Das ist vor allem der Fall bei der Erwirkung von Handlungen, Duldungen, Unterlassungen und Willenserklärungen (§§ 887 ff. ZPO). Auch eine gesonderte Drittwiderspruchsklage gegen die (Hilfs-)Pfändung von Kraftfahrzeug-Papieren ist nicht zulässig (KG, OLGZ 1994, 113). Der Drittschuldner kann sich nach Forderungspfändung im Einziehungsprozess nicht darauf berufen, einem anderen stünde ein Recht nach § 771 Abs. 1 ZPO zu (OLG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 25.8.2011, 1 U 40/11; BGH, MDR 2007, 420). Solange die Zwangsvollstreckung nicht beendet ist, schließt die Drittwiderspruchsklage in ihrem Anwendungsbereich jede auf eine materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage gestützte Klage aus (OLG Sachsen-Anhalt Urteil v. 5.4.2012, 1 U 90/11). Hat ein Dritter nach einer Erstpfändung beim Schuldner gegenüber dem Gerichtsvollzieher an einem Gegenstand ein die Veräußerung hinderndes Recht geltend gemacht, muss ihn der Gerichtsvollzieher über eine Anschlusspfändung desselben Gegenstands unterrichten, damit er Gelegenheit erhält, von dem Gläubiger eine Freigabe zu erwirken oder gegen ihn nach § 771 ZPO vorzugehen (BGH, MDR 2007, 1274 = DGVZ 2007, 135).
Rz. 4
Wegen der Zwangsvollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Titeln verweist § 167 Abs. 1 VwGO auf die Regelung des § 771 ZPO. Auch bei der Abgabenvollstreckung ist ein die Veräußerung hinderndes Recht nach § 262 AO im Wege der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO geltend zu machen. Das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes (VwVG) verweist auf die AO und auch auf § 262 AO (§ 5 VwVG). Zuständig sind die Zivilgerichte (Schuschke/Walker, § 771 Rn. 2).
3 Abgrenzung der Drittwiderspruchsklage von anderen Rechtsbehelfen
3.1 Vollstreckungserinnerung, § 766 ZPO
Rz. 5
Beide sind, wenn sowohl Verfahrensnormen, die auch den Dritten...