1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Von der endgültigen Haftungsbeschränkung auf den Nachlass sind die aufschiebenden Einreden der §§ 2014 und 2015 BGB zu unterscheiden. Die Erhebung der sog. Dreimonatseinrede (§ 2014 BGB) und der Einrede des Aufgebotsverfahrens (§ 2015 BGB) bewirken, dass in das Urteil der Vorbehalt (§ 305 Abs. 1 ZPO) der beschränkten Erbenhaftung aufgenommen wird (vgl. Damrau/Tank/Gottwald, Erbrecht, 4. Aufl. 2020, § 2014 Rn. 5 bis 10; § 2015 Rn. 4). Nach den §§ 780, 781 ZPO hindert diese Tatsache allein nicht die Zwangsvollstreckung sowohl in den Nachlass als auch in das Eigenvermögen des Erben. Der Erbe muss seine Einwendungen im Klageweg geltend machen (§§ 785, 767 ZPO). Die Bestimmung gilt nur gegenüber dem Nachlass (Nachlassgläubigern), nicht gegenüber den Eigengläubigern des Erben. Sie gilt weiter nur gegenüber Forderungen, die den Einreden der §§ 2014, 2015 BGB unterliegen, und nicht nur für den Erben, sondern auch für den Testamentsvollstrecker, den Nachlassverwalter und den Nachlasspfleger und nur so lange, wie der Erbe seine Haftung noch beschränken kann, denn der unbeschränkt haftende Erbe kann die Einreden der §§ 2014, 2015 BGB nicht erheben (§ 2016 Abs. 1 BGB, vgl. MünchKomm/ZPO- K. Schmidt/Brinkmann, § 782 Rn. 3).
Rz. 2
Die Vorschrift nun beschränkt die Einwendungen des beschränkt haftenden Erben: Er kann nicht der Zwangsvollstreckung als solcher entgegentreten, sondern nur für die Dauer der Schutzfrist verlangen, dass die Zwangsvollstreckung auf Sicherungsmaßnahmen der Arrestvollziehung beschränkt wird, also auf die Pfändung ohne Verwertung oder Überweisung oder die Eintragung einer Sicherungshypothek. Handelt es sich bei der Vollstreckungsforderung um einen Anspruch auf Individualleistung (§§ 883 ff. ZPO), insbesondere um einen Herausgabeanspruch, so ist in entsprechender Anwendung der Grundsätze der Sicherungsvollstreckung zwar die Herausgabe des Gegenstandes an den Gerichtsvollzieher zulässig, während ihre Weiterleitung an den Gläubiger für unzulässig zu erklären ist. Nach Ablauf der Frist wird die Zwangsvollstreckung unbeschränkt fortgesetzt.
2 Geltendmachung der Einreden
Rz. 3
Der Erbe (oder die "Amtspersonen", s. o. Rn. 1) kann verlangen, dass die Zwangsvollstreckung für die Dauer der in den §§ 2014, 2015 BGB bestimmten Fristen beschränkt wird. Die Geltendmachung geschieht durch die Erhebung der Klage nach § 785 ZPO (vgl. Rn. 5 ff.). Mit der Klage kann die vorläufige Beschränkung der Vollstreckung auf Arrestmaßnahmen (vgl. §§ 930-932 ZPO) erreicht werden. Das sind im Wesentlichen die Beschränkung auf die Pfändung (ohne Verwertung und Überweisung) und auf die Eintragung einer Sicherungshypothek. Die Klage ist unbegründet, wenn der Erbe – allgemein oder gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger – unbeschränkt haftet.
Rz. 4
Ist ein Urteil ergangen und endet die aus dem Urteil ersichtliche Frist, wird die Zwangsvollstreckung ohne die sich aus dem Urteil ergebende Beschränkung fortgesetzt. Die nachträgliche Geltendmachung der beschränkten Erbenhaftung nach den §§ 781, 785 ZPO wird dadurch nicht ausgeschlossen. Endet die sich aus den §§ 2014, 2015 BGB ergebende Frist vor dem Erlass des Urteils nach den §§ 782, 785 ZPO, wird die Klage unbegründet. Der Kläger kann in diesem Fall die Hauptsache nach § 91a ZPO für erledigt erklären. Tritt vor dem Erlass des Urteils nach den §§ 782, 785 ZPO beschränkte Erbenhaftung ein, kann der Erbe einen Klageantrag nach den §§ 781, 785 ZPO stellen. Darin liegt dann eine – sachdienliche – Klageänderung (§ 263 ZPO). Der Beklagte kann den geänderten Antrag u. U. mit der für ihn günstigen Kostenfolge des § 93 ZPO (sofort) anerkennen.
3 Fristverlängerung (Satz 2)
Rz. 5
Die Fristen des Satzes 1 sind auf Antrag des Erben zu verlängern, wenn vor ihrem Ablauf die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens beantragt und über diesen Antrag noch nicht entschieden ist. Die Nachlassinsolvenz kann nämlich ebenfalls zu einer Haftungsbeschränkung des Erben führen, die dann jedenfalls nicht den Fristen der §§ 2014, 2015 BGB unterliegt. Die Verlängerung wird durch Klage nach § 785 ZPO geltend gemacht. War bereits ein Urteil ergangen, lautet der Antrag auf "Aufrechterhaltung des Urteils bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens über den Nachlass des ...". Der Antrag kann auch im laufenden Verfahren nach §§ 782, 785 ZPO gestellt werden und zielt dann sogleich auf die "lange Frist" ab.
4 Praktische Bedeutung
Rz. 6
Die praktische Bedeutung der Bestimmung ist gering. Dies rührt zum einen daher, weil sie sehr kompliziert und kostenaufwendig ist. Der Erbe muss nämlich u. U. drei Klagen erheben, um die Inanspruchnahme seines Privatvermögens für Verbindlichkeiten eines dürftigen Nachlasses abzuwenden: Er beginnt mit der Klage nach § 782 Satz 1, § 785 ZPO, um die Beschränkung für eine bestimmte Frist zu erreichen; es folgt die Klage nach § 782 Satz 2, § 785 ZPO, um diese Beschränkung zu verlängern, und endlich die Klage nach §§ 784, 785 ZPO, um letztlich die Aufhebung der Maßnahme der Zwangsvollstreckung zu erreichen. Hinzu kommt, dass ...