2.1 Allgemeines
Rz. 2
Der Prozessvergleich ist zum einen eine materiell-rechtliche Vereinbarung (privatrechtlicher Vertrag, § 779 BGB) und zum anderen ein das Verfahren beendender Prozessvertrag (sog. Doppelnatur des Prozessvergleichs; OLG Hamm, Beschluss v. 12.10.2020, 5 W 46/20, juris; BAG ArbR 2011, 586 = NJW-Spezial 2011, 692; BGHZ 164, 190; BGH, NJW 1980, 1753). Er ist Prozesshandlung, weil er den Rechtsstreit beendet, und privatrechtliches Rechtsgeschäft, weil er sachlich rechtlich die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien regelt. Jedoch stehen Prozesshandlung und Rechtsgeschäft nicht getrennt nebeneinander. Vielmehr bildet der Prozessvergleich eine Einheit, die eine gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen Wirkungen und der materiell-rechtlichen Regelungen bewirkt. Daher ist ein Prozessvergleich nur wirksam, wenn sowohl die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Vergleich als auch die prozessualen Anforderungen erfüllt sind, die an eine wirksame Prozesshandlung zu stellen sind. Fehlt es auch nur an einer dieser Voraussetzungen, liegt ein wirksamer Prozessvergleich nicht vor; die prozessbeendigende Wirkung tritt nicht ein (BGHZ 164, 190; LG Hamburg, Urteil v. 8.2.2021, 325 O 346/19, juris). Der nach § 78 Abs. 1 ZPO vor dem Oberlandesgericht bestehende Anwaltszwang gilt auch für den Abschluss eines Prozessvergleichs vor dem Güterichter. Ein ohne Mitwirkung eines Anwalts abgeschlossener Vergleich ist jedoch materiell-rechtlich wirksam (OLG Frankfurt, Urteil v. 17.12.2019, 11 U 56/17, juris). Nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet die Zwangsvollstreckung aus Vergleichen statt, die zwischen den Parteien zur Beilegung eines Rechtsstreits geschlossen worden sind. Ein Prozessvergleich ist jedoch nur dann Vollstreckungstitel, wenn er einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat (vgl. Zöller/Geimer, § 794 Rn. 14). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung der den Schuldner treffenden Leistungspflicht, scheidet eine Vollstreckung aus. Die Vollstreckung aus einem Titel kann daher nur in den Fällen erfolgen, in denen hinreichend klar ist, welche konkrete Leistung von dem Schuldner gefordert wird (OLG München, Beschluss v. 22.3.2016, 34 Wx 43/16, juris; BAG, Beschluss v. 14.2.2017, 9 AZB 49/16, Rn. 9, juris m. w. N.).
Hierbei erfordern das Rechtsstaatsprinzip und das daraus folgende Gebot effektiven Rechtsschutzes, dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv, auch mithilfe der Zwangsvollstreckung, durchgesetzt werden können. Deshalb ist das Vollstreckungsgericht nicht von vornherein der Notwendigkeit enthoben, selbst eine möglicherweise schwierige Klärung der Frage herbeizuführen, ob die aus einem Titel folgende Verpflichtung erfüllt wurde (BAG, Beschluss v. 31.5.2012, 3 AZB 29/12, Rn. 16, juris; BAG, Beschluss v. 9.9.2011, 3 AZB 35/11, Rn. 14, juris). D.h. Vollstreckungstitel müssen so eindeutig wie möglich sein, es rechtfertigt aber nicht jeder verbleibende noch so geringe Spielraum die Annahme fehlender Vollstreckungsfähigkeit (LAG Berlin-Brandenburg, BB 2018, 1331). Die Verpflichtung des Vermieters im Räumungsvergleich, er werde Umzugskosten des Mieters bis zu einer bestimmten Höhe übernehmen, ist dahin auszulegen, dass der Vermieter nach Vorlage der Rechnung den Betrag zahlen muss. Ein solcher Vergleich ist tauglicher Vollstreckungstitel (LG Hamburg, ZMR 2015, 905). Der Verzicht auf einen Räumungsschutzantrag nach § 794a ZPO in einem Räumungsvergleich macht den Prozessvergleich nicht sittenwidrig und damit nichtig, sofern mit diesem Verzicht nicht auch der Verzicht auf Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO verbunden ist (AG Kitzingen, Urteil v. 21.1.2015, 3 C 837/12, juris). Regelungen, die ein freiwilliges Entgegenkommen der einen Partei darstellen, um die andere Partei dazu zu bewegen, den Vergleich abzuschließen und den bestehenden Rechtsstreit aus der Welt zu schaffen, erhöhen den Gegenstandswert des Vergleichs nicht (AG Hamburg, AGS 2016, 523; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 444).
Rz. 3
Notwendiger Inhalt ist, dass der Prozessvergleich zur Beilegung des Rechtsstreits seinem ganzen Umfang nach oder in Betreff eines Teils des Streitgegenstands abgeschlossen wurde. Als Zwischenvergleich (Hessisches LAG, Beschluss v. 9.12.2020, 8 Ta 313/20, juris) wird ein Vergleich bezeichnet, der im Prozess geschlossen wird, der aber das Merkmal, den Rechtsstreit ganz oder zum Teil zu erledigen, nicht erfüllt (MünchKomm/ZPO-Wolfsteiner, § 794 ZPO Rn. 75). Es handelt sich um eine nicht vollstreckbare Einigung über das weitere Verfahren (Zöller/Greger, ZPO, § 278 Rn. 38). Im Übrigen kann der Prozessvergleich alle nach den allgemeinen Regeln zulässigen materiell-rechtlichen und prozessrechtlichen Regelungen sonstigen Inhalts enthalten. Er kann insbesondere den Streit(-Gegenstand) anderer anhängiger oder nicht anhängiger Verfahren mit regeln. Vor allem können auch Rechtsgeschäfte ihre Regelung finden, die nach den allgemeinen gesetzlichen Regeln der notariellen Beurkundung bedürfen (z. B. nach § 311b BGB). Das Vergleichsprotokoll erset...