1 Grundsatz – Zweck
Rz. 1
Die Vorschrift enthält eine dem § 721 ZPO entsprechende Regelung für den Fall, dass der Schuldner sich in einem gerichtlichen Vergleich zur Räumung von Wohnraum verpflichtet hat. Auf außergerichtliche Vergleiche ist die Vorschrift nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar (LG Kaiserslautern, WM 1984, 115; LG Wuppertal, NJW 1967, 832; a. A. LG Hamburg, MDR 1981, 236; LG Ulm, MDR 1980, 944; LG Essen, NJW 1968, 162). Sie will verhindern, dass der Schuldner sich nur deshalb verurteilen lässt und eine vernünftige vergleichsweise Regelung ablehnt, um sich die Möglichkeit einer gerichtlichen Räumungsfristverlängerung nicht abzuschneiden. Die Vorschrift gilt nicht für gewerbliche Räume. Bei Mischverhältnissen findet sie dann Anwendung, wenn die Wohnraummiete im Vordergrund steht. Auf eine vollstreckbare Urkunde (§ 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO) und den vollstreckbar erklärten Anwaltsvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 4b i. V. m. §§ 796a, 796b ZPO) findet § 794a ZPO entsprechende Anwendung (Zöller/Geimer, § 794a Rn. 1).
Rz. 2
Auf die Anwendung der Vorschrift kann bei Abschluss des Prozessvergleichs nicht wirksam verzichtet werden (BeckOK/ZPO-Hoffmann, § 794a Rn. 1, 1.1; LG Berlin GE 1991, 403; Zöller/Geimer, § 794a Rn. 7; a. A. LG München, NZM 2008, 839 = ZMR 2009, 371; LG Aachen, WuM 1996, 568; LG Heilbronn, DGVZ 1992, 569).
Bisher keine Entscheidung des BGH dazu
Der BGH hat diese Frage in einer Entscheidung nach § 91a ZPO mit dem Hinweis, es sei nicht Zweck einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden, ausdrücklich offen gelassen (BGH, NJW-RR 2009, 422).
2 Verfahren (Absatz 1)
Rz. 3
Die Bewilligung der Räumungsfrist setzt einen Antrag des Schuldners voraus. Dieser muss spätestens zwei Wochen vor dem im Vergleich festgelegten Räumungstermin gestellt werden. Auf die nach § 794a Abs. 1 Satz 2 ZPO zu ermittelnde Frist für die Anbringung des Antrags auf Verlängerung der Räumungsfrist ist § 222 ZPO unmittelbar anwendbar (LG Berlin, MDR 2020, 953). Der Antrag kann schriftlich oder (mündlich) zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts gestellt werden. Anwaltszwang besteht nicht. In entsprechender Anwendung der §§ 233 ff. ZPO ist bei Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. Der Antrag ist bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk der Wohnraum belegen ist, zu stellen. Die Zuständigkeit ist ausschließlich (§ 802 ZPO). Das Amtsgericht entscheidet als Prozess-, nicht als Vollstreckungsgericht. Deshalb ist der Richter und nicht der Rechtspfleger zuständig (LG Essen, Rpfleger 1971, 323). Das Amtsgericht ist auch zuständig, wenn der Räumungsvergleich vor dem Arbeitsgericht abgeschlossen wurde (LArbG Tübingen, NJW 1970, 2046). Die mündliche Verhandlung ist freigestellt. Nach Absatz 1 Satz 4 ist der Gläubiger vor der Entscheidung zu hören. Die Entscheidung ergeht durch Beschluss, der zu begründen ist. Einstweilige Anordnungen können nach § 732 Abs. 2 ZPO ergehen.
Nach § 571 Abs. 2 BGB ist der Mieter, dem nach § 721 oder § 794a ZPO eine Räumungsfrist gewährt wird, für die Zeit von der Beendigung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Räumungsfrist zum Ersatz eines weiteren Schadens nicht verpflichtet. Die Norm beschränkt die Ansprüche des Vermieters auf die ihm nach § 546a Abs. 1 BGB für die Zeit der Vorenthaltung zustehende Nutzungsentschädigung und befreit den Mieter von einer Haftung für weitere durch die Ausnutzung der gerichtlichen Räumungsfrist entstehende Schäden; insbesondere für einen dem Vermieter in Folge des Verzugs mit der Wohnungsherausgabe entstehenden Schaden hat der Mieter für den Zeitraum der ihm vom Gericht gewährten Räumungsfrist nach § 721 oder § 794a ZPO nicht einzustehen (BGH, NJW 2021, 1088).
3 Grundsätze der Fristenbewilligung
Rz. 4
Es gelten – entsprechend der Zielsetzung der Vorschrift – die gleichen materiellen Voraussetzungen wie in § 721 ZPO, weshalb ergänzend auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens des Richters hat eine Interessenabwägung stattzufinden (LG Stuttgart, Rpfleger 1985, 71; LG Essen, WM 1979, 269; LG Kiel, WM 1973, 145; LG Mannheim, ZMR 1971, 373). Dabei und bei der Bemessung der Frist ist insbesondere zu berücksichtigen, ob der Vergleich eine Räumungsfrist enthält. Es müssen allerdings Umstände, die dem Schuldner bei Vergleichsabschluss bekannt waren und die ihn damals nicht von der Zusage eines bestimmten Räumungstermins abgehalten haben, außer Betracht bleiben, da im Abschluss des Räumungsvergleichs ein Verzicht auf ihre Geltendmachung zu sehen ist (vgl. auch: LG Heilbronn, JurBüro 1992, 569). Der Antrag kann aber nicht deshalb abgelehnt werden, weil außergewöhnliche, vorher nicht absehbare Umstände nicht vorgebracht sind (LG Mannheim, ZMR 1966,3 280). Der Schuldner muss sich intensiv um eine Ersatzwohnung bemüht haben (LG Mannheim, WuM 1993, 62), das gilt auch in den Zeiten der Pandemie (AG Eschweiler, ZMR 2021, 532). Dabei muss der Mieter substanziiert darlegen, wenn und welche Bemühungen er zur A...