3.1 Persönlicher Schutzbereich
Rz. 9
§ 811 ZPO gilt unabhängig von der Art und der Höhe der zu vollstreckenden Forderung.
Die Pfändungsverbote gelten für alle Schuldner, damit auch für juristische Personen und für den/die Erben hinsichtlich eines Nachlassgegenstands. Ein Teil der Schutzbestimmungen kommt neben dem Schuldner auch dritten Personen (Familienangehörige: vgl. Abs. 1 Nr. 2, 6; Personen im gemeinsamen Haushalt: vgl. Abs. 1 Nr. 1, 4, 6 und 8 ) zugute. Insoweit ist dann bei der Prüfung der Pfändbarkeit auch auf deren Bedürfnisse und gerade nicht nur die des Schuldners mit abzustellen. Gegenstände z.B., die in einem Ein-Personen-Haushalt zu einer bescheidenen Lebensführung nicht erforderlich sein können, können bei einer Großfamilie durchaus unentbehrlich sein. Die Frage nach der Einbeziehung Dritter ist bei jedem Einzelfall des Abs. 1 zu prüfen und nach dem Zweck der Norm zu beantworten. Etwas anderes gilt , wenn sich das Pfändungsverbot ausdrücklich nur auf den persönlichen Lebensbedarf einer natürlichen Person bezieht.
3.2 Eigentumslage
Rz. 10
Die Eigentumslage spielt für die Anwendbarkeit der Pfändungsverbote grundsätzlich keine Rolle , da lediglich der Besitz (Gewahrsamsprüfung; vgl. § 803 Abs. 1 ZPO; § 70 GVGA) und die Gebrauchsmöglichkeit geschützt werden (zur Ausnahme beim Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung; Abs. 2; vgl. RZ 67 ff.). Der Schuldner bzw. Dritte kann sich daher auch dann auf Abs. 1 berufen, wenn der Gläubiger Eigentümer der Sache ist (VG Göttingen, KKZ 2020, 12; LG Heilbronn, NJW 1988, 148). Dem Schutz unterfallen daher alle Sachen, gleich ob sie im Gewahrsam des Schuldners, des Gläubigers oder eines zustimmenden Dritten stehen (VG Göttingen, KKZ 2020, 12). Das gilt nicht ausnahmslos . Der Gläubiger ist allerdings nicht daran gehindert, Zugriff auf die in seinem Eigentum stehenden Gegenstände dadurch zu nehmen, dass er auch einen Herausgabetitel erwirkt.
Rz. 11
Auch im Rahmen einer Sicherungsübereignung an Dritte, kann sich der Schuldner ggü. anderen Gläubigern auf den Pfändungsschutz berufen, da es bei Geltendmachung einer diesbezüglichen Einwendung es nicht darauf ankommt, in wessen Eigentum die beim Vollstreckungsschuldner zu pfändenden Gegenstände stehen (OLG Köln, ZVI 2006, 591 m. w. N.; FG Saarland, Beschluss v. 3.11.1999 – 1 V 279/99 – juris; AG Saarlouis, DGVZ 1997, 142; LG Rottweil, DGVZ 1993, 57; LG Hildesheim, DGVZ 1989, 172; LG Oldenburg, MDR 1979, 1032; LG Detmold, DGVZ 1979, 59; LG Berlin, DGVZ 1979, 8; AG Bergheim, DGVZ 1979, 61; a.A. OLG München, MDR 1971, 580; AG Offenbach, NJW 1987, 387; OLG Hamm, OLGZ 1984, 368; OLG Celle, MDR 1973, 58; LG Stuttgart, DGVZ 1980, 91; LG Bonn, NJW 1961, 367). Die Sicherungsübereignung ist nämlich nicht auf pfändbare Gegenstände beschränkt (BGH, WM 1961, 243, 244). Ebenso wie der Schuldner unpfändbare Gegenstände uneingeschränkt veräußern kann, darf er diese auch zur Sicherheit übereignen. In einem solchen Fall steht dem Schuldner ein Pfändungsschutz weiterhin zu (OLG Stuttgart, WM 1994, 110; OLG Köln, Rpfleger 1969, 439; MünchKomm-ZPO/Schilken, § 811 Rn. 9; a.A. vgl. OLG Bamberg, MDR 1981, 50, 51; OLG Frankfurt am Main, NJW 1973, 104 ff.). Geht man allerdings davon aus, dass ein Schuldner bei der Sicherungsübereignung auf seine Rechte ZPO wirksam verzichtet hat, kann sich ein solcher Verzicht nur auf das Verhältnis zum Sicherungseigentümer beziehen. Wenn demgegenüber i. R.d. Einzelzwangsvollstreckung andere Gläubiger als der Sicherungseigentümer in gem. § 811 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, b, Nr. 2, Nr. 8 geschützte Gegenstände vollstrecken, kannsich der Schuldner ggü. diesen Gläubigern auf den Pfändungsschutz berufen .
Rz. 12
Ob sich der Schuldner, der dem Gläubiger Gegenstände zur Sicherheit übereignet, diesem ggü. des Pfändungsschutzes aus § 811 Abs. 1 ZPO begibt (so AG Köln, NJW-RR 2003, 987; OLG Bamberg, MDR 1981, 50; OLG Frankfurt am Main, NJW 1973, 104; a. A. KG Berlin, NJW 1960, 682), ist streitig und erscheint im Hinblick auf die Regelung in Abs. 2 als fraglich. Nach Abs. 2 kann eine nach Abs. 1 genannte Sache vom Vorbehaltseigentümer wegen einer durch den Eigentumsvorbehalt gesicherten Forderung aus dem Verkauf dieser Sache gepfändet werden.
Rz. 13
Die Pfändung einer nach Abs. 1 Nr. 1 lit. a, b, Nr. 2 unpfändbaren Sache kann durch das Vollstreckungsgericht im Wege der Austauschpfändung zugelassen werden (vgl. § 811a ZPO). Dies gilt auch im Fall eines eröffneten Insolvenzverfahrens (AG Dresden, ZVI 2005, 322). Differenzierter betrachtet dies das LG Göttingen (ZVI 2013, 159). Es entscheidet dann das Insolvenzgericht als besonderes Vollstreckungsgericht, wenn zu klären ist, ob der Gegenstand der Zwangsvollstreckung und damit der Insolvenzmasse unterliegt (BGH NZI 2012, 672 = ZInsO 2012, 1260). Der Fall ist nicht anders zu beurteilen, als der, in welchem der Insolvenzverwalter Gegenstände zur Insolvenzmasse übernehmen will und sich der Schuldner hiergegen mit der Behauptung wehrt, die betreffenden Gegenstände gehörten nicht zur Insolvenzmasse, weil sie unpfändbar seien. Auch in ...