Rz. 16
Die h. M. sieht den Schuldnerschutz als Verwirklichung eines verfassungsrechtlichen Gebots an und geht bei den entsprechenden Schutznormen von einer prozessrechtlichen Natur und damit öffentlich-rechtlicher Natur aus (MünchKomm/ZPO-Gruber, § 811 Rn. 2; BGHZ 137, 193 = NJW 1998, 1058; BFH NJW 1990, 1871). Für andere Auffassungen steht die Beschränkung des materiell-rechtlichen Anspruchs des Gläubigers im Vordergrund (MünchKomm/ZPO-Gruber, a. a. O.). Daraus ist abzuleiten:
3.4.1 Vereinbarungen zugunsten des Schuldners
Rz. 17
Vereinbarungen der Beteiligten, nach denen über die Bestimmung des § 811 Abs. 1 ZPO hinaus weitere Gegenstände nicht sollen gepfändet werden dürfen, sind unbegrenzt zulässig (a. A. Brox/Walker, Rn. 201). Das ergibt sich schon daraus, dass hier nur der Gläubiger geschützt ist und die gesetzlichen Bestimmungen dem Schutze des Schuldners dienen. Der Gerichtsvollzieher kann eine solche Vereinbarung aber nur dann berücksichtigen, wenn er davon Kenntnis erlangt. Im Allgemeinen wird der Gläubiger bei der Erteilung des Vollstreckungsauftrags auf die Vereinbarung hinweisen. Tut er es nicht und legt der Schuldner dem Gerichtsvollzieher anlässlich der Pfändung eine Vereinbarung vor, kann der Gerichtsvollzieher dies nicht berücksichtigen, da er nicht weiß, ob die Vereinbarung noch Gültigkeit hat. Er wird in solchen Fällen tunlichst, schon um Kosten zu vermeiden, beim Gläubiger rückfragen. Bestätigt der Gläubiger eine solche Vereinbarung, wie sie der Schuldner vorgelegt oder vorgebracht hat, nicht, dann kann der Schuldner gegen die Pfändung nicht mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO vorgehen, sondern muss sie mit der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO angreifen (Schuschke/Walker, § 811 Rn. 7).
3.4.2 Vereinbarungen zu Lasten des Schuldners (Verzicht)
Rz. 18
Eine Vereinbarung , dass auch Gegenstände gepfändet werden dürfen, die dem Pfändungsschutz nach § 811 Abs. 1 ZPO unterliegen, ist vor einem Vollstreckungsversuch nicht zulässig und nach § 134 BGB nichtig (h. M. BayObLG, MDR 1950, 558; KG, NJW 1960, 682; OLG Köln, Rpfleger 1969, 439; AG Köln, MDR 1973, 48; LG Oldenburg, DGVZ 1980, 39; AG Sinzig NJW-RR 1987, 757; AG Essen DGVZ 1978, 175; MünchKomm/ZPO-Gruber, § 811 Rn. 13 m. w. N.; Musielak/Voit/Becker, § 811 Rn. 8 f.; Schuschke/Walker/Walker, § 811 Rn. 16; Stein/Jonas/Würdinger, § 811 Rn. 8; Thomas/Putzo/Seiler, § 811 Rn. 5; Zöller/Herget, § 811 Rn. 10; Brox/Walker Rn. 304; Hk-ZPO/Kemper Rn. 5; Mümmler DGVZ 1963, 118; ausf. Philipp Rpfleger 2011, 456 (462 ff.); a. A. KG, JR 1952, 281; LG Bonn, MDR 1965, 303; AG Essen, DGVZ 1978, 175; OLG Bamberg, MDR 1981, 50). Dies deshalb, weil die Regelung eine soziale Schutzvorschrift ist, die nicht zur Disposition des Schuldner steht (BGHZ 137, 193 = WM 1998, 355 = ZIP 1998, 303 = NJW 1998, 1058 = BB 1998, 714 = = MDR 1998, 490 = LM BGB § 202 Nr 26 (5/1998) = Rpfleger 1998, 206 = InVo 1998, 129 = WuB VI E § 832 ZPO 1.98 = ZAP ERW 1998, 101 = ZZP 1998, 205 = DGVZ 1998, 138 = KKZ 1998, 189).
Rz. 19
Während oder nach der Pfändung kann der Schuldner im Einzelfall wirksam auf den Pfändungsschutz verzichten (LG Hildesheim KKZ 1990, 135 und DGVZ 1989, 172 (Verzicht in Einzelfällen denkbar; RG JW 1895, 237 (239); KG NJW 1960, 682; DGVZ 1956, 89; JR 1952, 281; AG Essen DGVZ 1978, 175; Bechtloff ZIP 1996, 994 (996); Gaul Rpfleger 1971, 1 (3); Henckel S. 337; AK-ZPO/Schmidt-von Rhein Rn. 1; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard § 52 Rn. 17; Wieczorek/Schütze/Lüke, § 811 Rn. 13; mit Differenzierungen auch Kleffner DGVZ 1991, 108 (Verzicht zulässig bei § 811 Abs. 1 Nr. 5–7, 9 und – eingeschränkt – Nr. 1 ZPO a. F.); a.A. Zöller/Herget, § 811 Rn. 11). Ein solcher Verzicht muss jedoch ausdrücklich und in Kenntnis der entsprechenden Schutzvorschrift erfolgen. Der Gerichtsvollzieher hat die Zustimmung in das Pfändungsprotokoll aufzunehmen. Dieser Verzicht ist dann, und hier wirkt sich die Auffassung von der prozessrechtlichen Natur aus, unwiderruflich. Der Schuldner kann deshalb nicht nach erfolgter Pfändung den Verstoß gegen § 811 Abs. 1 ZPO mit der Vollstreckungserinnerung rügen.