5.1 Allgemeines
Rz. 66
Die Vorschrift übernimmt § 811c Abs. 2 ZPO a. F. Sie verhindert ausnahmsweise einen Pfändungsschutz von Tieren nach Abs. 1 Nr. 8 lit b, die der Schuldner oder eine Person, mit der er in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt, nicht zu Erwerbszwecken hält oder für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit benötigt und einen hohen Wert besitzt. Hierunter fallen z.B. Reitpferde, Rassehunde bzw. seltene Tierarten (vgl. BT-Drucks. 11/5463, S. 7). Dadurch werdend berechtigte Interessen des Gläubigers an der Durchsetzung seiner titulierten Forderung unverhältnismäßig vernachlässigt.
Rz. 67
Die vorzunehmende Interessenabwägung verlangt zunächst die wirtschaftliche Situation des Gläubigers zu betrachten (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39). Umso weniger seine eigene wirtschaftliche Existenz gesichert ist, umso stärker überwiegen seine Belange. Ebenfalls spielt die Art der Schuld – etwa ein Anspruch aus unerlaubter Handlung bzw. Unterhalt – ebenso eine Rolle wie sonstige Vollstreckungs- und Verwertungsmöglichkeiten. Allerdings sind auch die Bindungen weiterer Familienangehöriger – z.B. alter und kranker Menschen oder Kinder – zu beachten.
Rz. 68
Bei den zu prüfenden Belangen des Tierschutzes ist insbesondere bedeutsam (Goebel, Vollstreckung effektiv 2003, 39):
- Bindung des Tieres an den Schuldner und dessen Familie;
- Entfaltungsmöglichkeiten des Tieres beim Schuldner/Familie, die nach einem Verkauf nicht mehr gegeben sind;
- Alter des Tieres (AG Paderborn, DGVZ 1996, 44: Keine Pfändung eines 20-jährigen Pferdes, das beim Schuldner sein "Gnadenbrot" erhält);
- Gesundheitszustand des Tieres;
- Bedeutung des Tieres für andere Tiere im häuslichen Bereich des Schuldners;
- Verwertungsart (anderer häuslicher Bereich, Versuchslabor, Verwertung nach Tod).
5.2 Voraussetzungen
5.2.1 Hoher Wert
Rz. 69
Der materielle – nicht ideelle –Wert des Tieres muss hoch sein, d. h. deutlich über 250 EUR liegen (BT-Drucks. 11/5463 S. 7).
5.2.2 Nicht zu rechtfertigende Härte für Gläubiger
Rz. 70
Trotz hohen Wertes muss zusätzlich die Unpfändbarkeit eine Härte für den Gläubiger bedeuten, die durch die Belange des Tierschutzes und die Schuldnerinteressen am Tier bei Abwägung aller Umstände nicht zu rechtfertigen ist. Dies ist z.B. gegeben bei hartnäckiger Zahlungsverweigerung eines Mieters, auch wenn die wertvollen Haustiere (hier: Koi-Karpfen und Papageien) sein einziges pfändbares Vermögen darstellen (LG Berlin, Grundeigentum 2007, 721). Allerdings rechtfertigt das Fehlen einer anderweitigen Vollstreckungsmöglichkeit nicht stets eine Härte für den Gläubiger (BT-Drucks. 11/7369 S. 8).
5.2.3 Verfahren
Rz. 71
Über eine Pfändbarkeit entscheidet (ausschließlich; §§ 764, 802 ZPO) das Vollstreckungsgericht (Rechtspfleger; § 20 Nr. 17 RpflG) auf ausdrücklichen Antrag des Gläubigers. Dieser kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Anwaltszwang besteht nicht (§ 78 ZPO). Im Falle der Beauftragung eines Rechtsanwalts gilt elektronische Antragstellung gem. § 130d ZPO. Dem Schuldner ist gem. Art 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör zu gewähren, bei fakultativer mündlicher Verhandlung (§ 764 Abs. 3 ZPO). Es gilt der Beibringungsgrundsatz. Insofern muss der Gläubiger seine anspruchsbegründenden Tatsachen bzgl. des Wertes des Tieres sowie Umstände, welche eine Härte für ihn darstellen, beweisen und darlegen. Glaubhaftmachung ist nicht ausreichend. Das Vollstreckungsgericht entscheidet durch Beschluss, der zu begründen ist. Der Beschluss ist sowohl dem Gläubiger als auch dem Schuldner zuzustellen; bei Ablehnung erfolgt Zustellung nur an den Gläubiger.
5.2.4 Wirkungen des stattgebenden Beschlusses
Rz. 72
Mit Erlass (Wirksamkeit) – nicht Rechtskraft – des Beschlusses ist das Tier pfändbar. Bis dahin besteht Unpfändbarkeit nach §Abs. 1 Nr. 8 lit. b. Eine Vorwegpfändung gem. § 811c ZPO ist jedoch möglich, wenn Zulassung der Pfändung nach Abs. 3 zu erwarten ist (Zöller/Herget, § 811 Rn. 40). Die Zulassung der Pfändung wirkt nur für den Gläubiger, auf dessen Antrag hin die Pfändung zugelassen worden ist. Nachrangige Gläubiger müssen bei Anschlusspfändung (§ 826 ZPO) einen eigenen Antrag auf Zulassung stellen.
5.2.5 Rechtsbehelfe
Rz. 73
Gegen den Beschluss des Vollstreckungsgerichts nach Abs. 2 ist sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO statthaft. Der Schuldner kann sich nicht auf Vollstreckungsschutz gem. § 765a Abs. 1 Satz 3 ZPO berufen. Diese Vorschrift greift nur bei Tieren, die zu Erwerbszwecken außerhalb des räumlichen Bereichs des Schuldners gehalten werden (vgl. § 765a RZ 17).
5.2.6 Kosten/Gebühren
Rz. 74
Gerichtskosten entstehen keine. Der Gerichtsvollzieher erhält eine Gebühr i. H. v. 28,60 EUR gem. Nr. 205 KV als Anlage zu § 9 GvKostG. Neben dieser Gebühr wird gegebenenfalls ein Zeitzuschlag nach Nr. 500 KV als Anlage zu § 9 GvKostG erhoben. Kosten für Futter und Unterbringung des Tieres sind als Auslagen des Gerichtsvollziehers voll erstattungsfähig (Nr. 707 KV als Anlage zu § 9 GvKostG). Anfallende Gerichtsvollzieherkosten sind grundsätzlich notwendige Kosten der Zwangsvollstreckung gem. § 788 ZPO. Der Rechtsanwalt erhält keine gesonderte Gebühr. Seine Tätigkeit ist durch die allgemeine 0,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3309 ...