Zusammenfassung
Die Norm ist durch das Gerichtsvollzieherschutzgesetz (GvSchuG; BGBl. I 2021, 850) mit Wirkung zum 1.1.2022 neu gefasst worden. Die bisherige Überschrift "Unpfändbare Sachen" wurde in "Unpfändbare Sachen und Tiere" geändert, um § 90a Satz 1 BGB Rechnung zu tragen (BT-Drucks. 19/27636, 26). Zudem sind die Regelungsinhalte der bisherigen §§ 811c, 812 ZPO a.F. in die Vorschrift überführt.
Als zentrale Vorschrift für den Pfändungsschutz bei der Pfändung von Sachen wegen Geldforderungen soll die Regelung dem Schuldner ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und damit das Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG im Pfändungsrecht umsetzen (vgl. auch RZ 1).
Die in Teilen stark veraltete Altregelung ist an die veränderten rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten sowie gewandelte gesellschaftliche Realitäten angepasst worden. Dem wird unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass in Abs. 1 Nr. 1, 3 Buchstabe b, Nr. 4, 6 und 8 nicht nur Sachen oder Tiere geschützt werden, die der Schuldner benötigt, sondern auch solche, die eine Person benötigt, mit der der Schuldner in einem gemeinsamen Haushalt zusammenlebt, die allerdings keine Familienangehörigen darstellen.
Leitend war für den Gesetzgeber jedoch vielmehr die Entlastung der Gerichtsvollzieher (BR-Drucks. 62/71, 17; Herberger, DGVZ 2021, 253 (254)). Denn durch die Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs des § 811 Abs. 1 ZPO ist beabsichtigt, die Anzahl an pfändbaren Sachen bzw. Tieren zu reduzieren, was zu einer Zeitersparnis und damit wiederum zu einer Entlastung der Gerichtsvollzieher führen soll. Nach Ansicht des Gesetzgebers ist dabei "Die Zeitersparnis, die sich daraus ergibt, dass eine Sache oder ein Tier nicht der Pfändung unterliegt größer, als der Zeitaufwand, der erforderlich ist, um zu ermitteln, ob eine Pfändbarkeit im Einzelfall vorliegt. Denn in Fällen, in denen eine Unpfändbarkeit vorliegt, entfallen für den Gerichtsvollzieher zahlreiche Arbeitsschritte: So muss er keine weitere Prüfung vornehmen, ob die Sache oder das Tier aus anderen Gründen nicht pfändbar ist, die Sache oder das Tier nicht beschlagnahmen und auch keine weiteren Arbeitsschritte vornehmen, die im Rahmen der Verwertung anfallen würden." Zu Recht kritisiert daher Herberger (DGVZ 2021, 253, 254), dass sich mit solchen Erwägungen der in der Verweigerung der Vollstreckung liegende Grundrechtseingriff auf Gläubigerseite nicht rechtfertigen lässt.
1 Grundsatz – Normzweck
Rz. 1
Die Pfändungsverbote des Abs. 1 dienen dem Schutz des Schuldners vor einer "Kahlpfändung" (BGH, NJW 2005, 681 = Vollstreckung effektiv 2005, 78 = NJW-RR 2005, 663; BGH, Vollstreckung effektiv 2011, 171 = NJW-Spezial 2012, 41 = NJW-RR 2011, 1366) aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse (vgl. BGHZ 137, 193, 197 m.w.N. = WM 1998, 355 = NJW 1998, 1058 = DGVZ 1998, 138; BFH JurBüro 2013, 103) und beschränken die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen mithilfe staatlicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Sie sind Ausfluss der in Art. 1 GG und Art. 2 GG garantierten Menschenwürde bzw. allgemeine Handlungsfreiheit und enthalten eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG). Dem Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften entspricht es daher, dass die Organe des Staates dem Schuldner bei Zwangsvollstreckungen zugunsten des Gläubigers nicht wegnehmen dürfen, was der Staat mit Leistung von Sozialhilfe zur sozialen Sicherung wiedergeben müsste (VG Göttingen, Beschluss v. 12.6.2018, 1 B 323/18– Juris). Dem Schuldner und seinen Familienangehörigen soll dadurch die wirtschaftliche Existenz erhalten werden, um – unabhängig von staatlicher Hilfe – ein bescheidenes, der Würde des Menschen entsprechendes Leben führen zu können (BGH, DGVZ 2010, 77 = NJW-RR 2010, 642). Hierzu gehört es auch, dass die Gegenstände, die notwendige Grundlage zur Aufrechterhaltung seiner Erwerbstätigkeit sind, geschützt werden.
Rz. 2
Für die Auslegung des Abs. 1 geben die Regelungen des Sozialgesetzbuches wichtige Anhaltspunkte, weil die Pfändungsverbote und die Bestimmungen über die Sozialhilfe, die jeweils dem Schutz und der Erhaltung des Existenzminimums dienen, in einer engen Wechselbeziehung zueinander stehen. Da eine Pfändung nicht zulasten öffentlicher Mittel erfolgen darf, dürfen dem Schuldner bei der Zwangsvollstreckung keine Gegenstände entzogen werden, die ihm der Staat aus sozialen Gründen mit Leistungen der Sozialhilfe wieder zur Verfügung stellen müsste (BGH, VkBl 2004, 408 = WM 2004, 935 = NJW-RR 2004, 789). Die Auslegung des Umfangs der Pfändungsverbote muss darüber hinaus der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen. Daher muss die Auslegung den Lebensstandard in der BRD berücksichtigen. Für die Auslegung der Pfändungsverbote nach Abs. 1 ist weiterhin das gewandelte Verständnis in der Gesellschaft über die soziale Stellung behinderter Menschen von Bedeutung. Mit der Einfügung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in das GG, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf, ist der ...